Ein Trio sucht den Supermann

Der Kanzler will einen EU-Superminister für Industrie schaffen. Besetzt werden soll der Posten mit einem Deutschen. Der Kandidat: Günter Verheugen

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Natürlich werden sich viele aufregen. Wenn Gerhard Schröder, Jacques Chirac und Tony Blair heute in Berlin wieder mal zu einem ihrer umstrittenen Dreiergipfel zusammenkommen, wird bei anderen europäischen Staats- und Regierungschefs der Ärger, bei einigen auch der Neid groß sein. Immer dann, wenn sich der deutsche Kanzler, der französische Präsident und der britische Premier treffen, begleitet sie der Verdacht, da tage das neue EU-Direktorium, ein Dreierbund der Großen, der nach Hegemonie in Europa strebe.

Im Kanzleramt in Berlin reagiert man auf diese Vorwürfe der kleineren EU-Länder mit der Gelassenheit des Stärkeren. „Absolut absurd“, heißt der lapidare Kommentar. Schröders Außenpolitiker verweisen darauf, dass sich auch die Regierungschefs von Italien, Spanien und Polen schon mal zu Extragipfeln treffen oder, wie Anfang dieser Woche geschehen, sechs europäische Regierungschefs einen gemeinsamen Brief an den Präsidenten der EU-Kommission schreiben. Die Bundesregierung verkneift sich natürlich den genüsslichen Kommentar, dass insbesondere die Italiener und Spanier doch nur deswegen sauer sind, weil sie den Dreierbund liebend gern zu einem Vierer- oder Fünferbund erweitern würden.

Im Kanzleramt wird auf Pragmatismus gemacht. Das heutige Dreiertreffen diene lediglich dazu, den EU-Wirtschaftsgipfel Ende März in Dublin vorzubereiten. Es gehe insbesondere darum, neue Maßnahmen für Vollbeschäftigung in Europa zu beraten. Die so genannte Lissabon-Agenda, aus der EU bis 2010 die dynamischste Wirtschaftsregion der Welt zu machen, brauche „neue Puste“, heißt es. Deswegen nehme erstmals bei einem deutsch-französisch-britischen Gipfel eine große Ministerrunde teil, von deutscher Seite Ulla Schmidt (Gesundheit), Edelgard Bulmahn (Bildung) und Karl Diller (Staatssekretär für Finanzen).

An diesen Altruismus glaubt in den anderen europäischen Hauptstädten natürlich niemand. Sie werden dort sehr genau das separate Abendessen von Schröder, Chirac und Blair samt ihren Außenministern verfolgen, bei dem es um die machtpolitisch wichtigen Fragen geht: die immer noch umstrittene europäische Verfassung, die Neuordnung der EU-Kommission samt deren Neubesetzung, die EU-Erweiterung, einschließlich der Türkeifrage, sowie die Verhandlungen über den neuen EU-Finanzhaushalt. „Alle Themen gehören zusammen, also wird auch über alle geredet“, räumt man in Berlin ein. Europaweite Beachtung wird dabei insbesondere ein Vorstoß der Drei zur Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit finden. Schröder, Chirac und Blair wollen die EU-Kommission auf einen industriefreundlichen Kurs bringen. Dazu gehört auch, die Neubesetzung der EU-Kommission im Herbst zu einem umfassenden Umbau der Brüsseler Behörde zu nutzen.

Schröder, Chirac und Blair klagen schon seit längerem darüber, dass die EU-Kommission zu wenig auf die Interessen der Industrie achte, und damit auf die Interessen ihrer drei Länder, in denen die größten Konzerne der Auto-, Elektro- und Chemieindustrie sitzen. Deswegen hat etwa die Bundesregierung immer wieder Initiativen der EU-Kommission blockiert oder erst nach massiven Korrekturen passieren lassen, etwa die Altauto-Verordnung oder die Richtlinie zur Kontrolle zehntausender Chemikalien.

Schröder, Chirac und Blair planen jetzt, die wirtschaftsrelevanten Ressorts der EU-Kommission wie Binnenmarkt, Handel, Industrie und Soziales stärker zu koordinieren. In Berlin wird offiziell nur von einem „Denkanstoß“ gesprochen, um die Vorschläge nicht als Vorgabe oder gar als Diktat des vermeintlichen EU-Direktoriums erscheinen zu lassen. Aber offensichtlich hat insbesondere der Bundeskanzler schon ganz konkrete Vorstellungen. Wie die Süddeutsche Zeitung schreibt, will Schröder, dass das Amt eines „Superministers“ für Industriepolitik geschaffen und dies möglichst mit einem Deutschen besetzt wird. Diesen Plan wolle er den Briten und Franzosen heute erläutern, heißt es.

Durch die Vergrößerung der EU auf 25 Länder verliert Deutschland einen seiner bislang zwei Kommissionsposten. Schröder will schon seit längerem, dass der dann einzige deutsche EU-Kommissar ein wichtiges Wirtschaftsamt übernimmt und in dieser Funktion gleichzeitig Vizepräsident der Kommission wird. Als Besetzung fällt immer wieder der Name von Günter Verheugen (SPD), dem jetzigen Kommissar für die EU-Erweiterung.

Bei der Gelegenheit trifft es sich gut, dass Schröder, Chirac und Blair selbstverständlich auch über den neuen Kommissionspräsidenten reden werden. Natürlich wird in Kreisen der Bundesregierung versichert, dass der „neue Mr Europe“ nicht am Mittwochabend im Kanzleramt gekürt wird. Aber der Kreis der inoffiziellen Bewerber ist mit Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker und Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel ohnehin übersichtlich. Da könnten sich die drei ja vielleicht wenigstens auf einen Kandidaten einigen. Ganz informell, versteht sich.