: Gipfel im Schatten des Krieges
Die Europäische Union vollzieht ihre historische Erweiterung – aber kein Thema wurde so intensiv erörtert wie die Folgen des Irakkrieges
aus Athen NIELS KADRITZKE
Das „größte und faszinierendste Friedensprojekt der Welt“ nannte der griechische Außenminister die Erweiterung der Europäischen Union um zehn Länder, die am Mittwoch mit der Unterzeichnung der Beitrittsverträge vollzogen wurde. Doch ausgerechnet bei diesem historischen Gipfel sah sich die Union mit Kriegsfolgen konfrontiert, die ihren Zusammenhalt noch stärker gefährden könnten als die strukturellen Probleme, die sich aus der Erweiterung ergeben.
Dies erklärt, warum die Position der EU zum Irakkrieg in Athen so intensiv erörtert wurde wie kein anderes Thema. Dabei brachte man immerhin eine Erklärung zustande, die den Willen zu erneuerter Gemeinsamkeit signalisiert. Für die Nachkriegszeit im Irak fordert die EU der fünfzehn – mit Zustimmung der Beitrittsländer – „eine zentrale Rolle“ für die UNO. Die Wortwahl ist ein klassischer Formelkompromiss. Sie fällt hinter der Forderung von Jacques Chirac zurück, wonach die UNO im Irak „die entscheidende Rolle“ spielen müsse. Sie geht jedoch über die „vitale Rolle“ hinaus, die der UNO bislang von Großbritannien (und den USA) zugestanden wurde.
Die EU fordert zudem eine zentrale Rolle der UNO ausdrücklich auch in dem Prozess, der „zur Selbstregierung des irakischen Volkes führen“ soll. Mit dieser Aussage fordern die EU-Staaten – und damit auch London, Madrid und Rom – für die Weltorganisation weit mehr als die humanitär beschränkte Rolle, die ihr von Washington zugestanden wird.
Dass die Resolution zustande kam, ist auch der griechischen EU-Präsidenschaft zu verdanken. Durch die Einladung von UN-Generalsekretär Kofi Annan nach Athen wurde signalisiert, dass sich die EU als politischer Partner der UNO sieht. Auf praktischer Ebene bot die Einladung Kofi Annan die Chance, eine ganze Reihe von Gesprächen mit Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates zu führen.
Die entscheidende Abstimmung über die EU-Erklärung erfolgte aber zwischen den Außenministern der vier EU-Sicherheitsratsmitglieder Großbritannien, Frankreich, Spanien und Deutschland. In diesem Kreis wurde die Differenz zwischen der britisch-spanischen und der deutsch-französischen Position überbrückt, indem man sich auf den „Blick nach vorn“ konzentrierte. Erleichtert wurde diese pragmatische Haltung durch Annäherungsschritte von beiden Seiten. Indem Tony Blair und José Aznar schon vor dem Athener Gipfel allen Gedankenspielen über einen Krieg gegen Syrien eine Absage erteilten, erweckten sie immerhin den Eindruck, dass sie die „Koalition der Willigen“ nicht als automatische Bündnisverpflichtung für weitere Rumsfeld-Missionen sehen. Und Chirac wie Schröder hatten bereits deutlich gemacht, dass sie nach dem militärisch erzwungenen Regimewechsel im Irak nicht explizit auf die Frage der völkerrechtlichen Legitimation des Krieges zurückkommen wollen.
Damit wird die „Macht des Faktischen“ von Paris und Berlin implizit anerkannt. Das schlägt sich in der EU-Erklärung in der Formulierung nieder, „die Koalition“ trage „in dieser Phase“ die Verantwortung dafür, sichere Verhältnisse und humanitäre Hilfe zu gewährleisten.
Der heikelste Punkt in der Resolution versteckt sich zweifellos in der Bezeichnung der britisch-amerikanischen Streitkräfte als „Koalition“. Am Ende des Gipfeltreffens wurde die griechische Präsidentschaft gefragt, warum die EU nicht von einer „Besatzungsmacht“ spreche, wie es Kofi Annan in Athen demonstrativ getan hatte. Ministerpräsident Simitis konnte nur darauf verweisen, dass nicht alle EU-Staaten einer solchen Formulierung zugestimmt hätten.