: Trojanisches Pferd
Ein Aidsimpfstoff, der nicht nur die Antikörperbildung anregt, sondern auch die Killerzellen aktiviert
Im Trojanischen Krieg schlachteten die gegnerischen Heere zehn Jahre lang einander ab, bevor dem listigen Odysseus die Idee mit dem Pferd kam: Er schleuste seine Kameraden im hohlen Bauch eines riesigen Holzviehs in die feindliche Stadt ein. Und siehe da, seine Griechen gewannen. So wollen Mediziner aus Hamburg und Bonn jetzt auch das HI-Virus in die Enge treiben. Die Impfstoffmacher in den Genlaboren des Children Research Instituts in Ohio, USA, haben aus dem für den Menschen unschädlichen „Adeno-assoziierten Virus“ (AAV) die Erbsubstanz entfernt. Die leere Hülle dient nun als trojanisches Pferd für drei der insgesamt neun Gene, die in dem Aidsvirus vorhanden sind.
Per Spritze gelangt dieses trojanische Pferd in den Probanden-Oberarm, die HIV-Gene nisten sich in einer Muskelzelle ein. Im Gegensatz zu früheren, misslungenen Impfstofftests mit Eiweißen aus der Hülle eines HI-Virus regt das neue, gentechnisch veränderte Impfvirus nicht nur die Antikörperbildung an, sondern es mobilisiert auch die so genannten Killerzellen.
Diese töten eine verdächtige Zelle, ehe sie überhaupt ein neues HI-Virus bilden kann, so der Mitarbeiter der Hamburger Studiengruppe Hans-Jürgen Stellbrinck. „Beide Antworten des Immunsystems muss ein Impfstoff hervorrufen, um erfolgreich sein zu können. Nur auf die Antikörperbildung zu setzen reicht nicht, weil das Virus aufgrund der Vielgestaltigkeit und seiner Veränderungsfähigkeit dem Immunsystem quasi immer neue Tontauben anbietet.“
Das Prinzip der eingeschleusten Gene wird bereits bei der Bekämpfung der Bluterkrankheit und der seltenen, erblichen Lungenkrankheit Mukoviszidose eingesetzt. „So dass man derzeit auf knapp 500 Menschen zurückblickt, die mit diesem AAV schon behandelt worden sind,“ erläutert der Leiter der Hamburger Studie, Jan van Lunzen.
Das Risiko, nach der Impfung in der Testphase an HIV zu erkranken, sei nicht gegeben, so van Lunzen weiter. „Denn um sich im Körper auszubreiten, braucht das Virus alle seine neun Gene. Nicht auszuschließen sind typische Impfreaktionen wie Überwärmung an der Einstichstelle oder Schmerzen im Oberarm. Während der gesamten Testphase stehen die Probanden unter ärztlicher Kontrolle.“
Seinen ersten Einsatz soll der Impfstoff, wenn alles gut läuft, in acht bis zehn Jahren haben. Und zwar im südlichen Afrika und Südostasien. Den Regionen also mit den weltweit höchsten Infektionsraten und den schlechtesten Behandlungsmöglichkeiten. So der Wille der Internationalen Aids-Impfstoff-Initiative (IAVI) mit Hauptsitz in New York. Die gemeinnützige Forschungsorganisation hat sich die Bekämpfung der HIV-Infektionen besonders in Entwicklungsländern zum Ziel gesetzt. Sie hat die Studie initiiert und finanziert sie auch, unter der Bedingung, dass der Impfstoff, sollte er zum Einsatz kommen, preiswert an die Bevölkerung der armen Länder verteilt wird. Die Entwickler des trojanischen Impfpferdes haben ihr Patent an die IAVI abgegeben.
Seine Gelder bezieht die IAVI unter anderem von der Weltbank, der Europäischen Union und den Regierungen von Kanada, der USA, Dänemark, Norwegen, Schweden, Irland, den Niederlanden und den USA. „Bill Gates hat aus seinem Privatvermögen bislang insgesamt 500 Millionen Dollar für die gesamten Aktivitäten von IAVI zur Verfügung gestellt. Deutschland zahlt leider bis jetzt nicht in den Topf ein“, kritisiert van Lunzen.
Insgesamt laufen derzeit weltweit Tests mit rund zwanzig HIV-Impfstoffen. „Unser Impfstoff ist also einer unter vielen, und es ist nicht zu erwarten, dass der alle unsere Probleme lösen wird. Aber er ist ein Meilenstein in die richtige Richtung. Auch wenn er möglicherweise noch nicht der Stoff ist, der bei Menschen eingesetzt werden kann“, erklärt van Lunzen. KATRIN JÄGER