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Archiv-Artikel

Brotjob auf der Bühne

Die Ökonomie des Tanzes offen gelegt: Der Hamburger Choreograph Jochen Roller bringt auf Kampnagel mit „Art Gigolo“ Teil zwei seiner Trilogie „perform performing“ zur Uraufführung

von MARGA WOLFF

Kunstliebhaber teilt Jochen Roller in Rotwein- und in Weißweintrinker ein. Letztere, auf ein schnelles und kalt berechnetes Vergnügen aus, zählt er zu den schlechteren Lovern. Doch seien auch jene, die besinnlicher ins Glas schauen – und dabei nicht über Geld sprechen – nur auf eines aus: auf die Gesellschaft eines Künstlers, dessen Glanz auf sie abstrahlt. Für diese Rolle des Kunst-Gigolo probt der Choreograph und Tänzer Roller derzeit auf Kampnagel.

Futter für seine Recherchen bietet Hamburgs Kulturpolitik ihm zwar reichlich, die Idee, in der Trilogie „perform performing“ Strategien in der Produktion von Tanz offen zu legen, gärte jedoch seit längerem. Der zweite Teil, Art Gigolo, erlebt nun auf Kampnagel seine Uraufführung und wird mit dem ersten Teil No Money, No Love zu einem Performance-Abend zusammengefasst. Roller hat die Ökonomie des Tanzes durchkalkuliert und mit zahlreichen Brotjobs, die das Überleben sichern, gegengerechnet. Dem Publikum zählt er da ganz hanseatisch die Kaffeebohnen vor, wägt ab, wie viele Hemden er bei H&M falten muss, um als Gegenwert eine Minute Tanz zu erhalten – wobei das Hemdenfalten jede Menge choreographisches Material in sich birgt.

Absurde Blüten treiben die Gedanken. Und solche lieferten schon immer den Stoff, aus dem der Absolvent des Studiums der Angewandten Theaterwissenschaft in Gießen mit anschließendem Choreographiestudium am renommierten Londoner Laban Centre den lakonischen Witz seiner Stücke extrahiert. Ökonomisch hat Jochen Roller auch seinen präzisen, minimalistischen Stil entwickelt, in dem Tanz und Text sich abwechseln. Er spricht von einem „Vorführen von Tanz“ im Sinne Brechts. „Ich thematisiere das Tanzen, den Tanz als Weiterführung des Textes.“

Roller liebt es, mit unterschiedlichen Formaten zu experimentieren. In Around The World jonglierte er in plüschiger Wohnlandschaft mit Fernweh, Heimatgefühlen und kosmopolitischer Weltgewandtheit, probierte, wie man an der Datumsgrenze den 30. Geburtag überspringt oder gleich zwei Mal feiert. Eine Club-Reihe in der Kampnagel Music Hall hatte der heute 31-Jährige der Inszenierung vorangeschickt. Eine Bar mit Tresenshows, die er mit drei Kolleginnen auf dem Kiez eröffnete, rentierte sich leider nicht und wurde nach wenigen Monaten wieder geschlossen.

Allein bestreitet Roller nun ein Programm von zwei Stunden in einem Bühnenbild, das in den Kofferraum eines Kleinwagens passt. Der Künstler als Ich-AG. Reduzierter lässt sich ein Unternehmen kaum aufziehen. Die Mobilität hat sich ausgezahlt: mit zahlreichen Einladungen des ersten Teils von „perform performing“. In den Tanzmarkt lässt es sich dennoch schwer einordnen. Und Roller will sich nicht auf ein gängiges, leicht konsumierbares 60-Minuten-Format reduzieren lassen. „Es braucht schließlich seine Zeit, um etwas auf der Bühne zu entwickeln“, meint er.

Doch die Prinzipien, die man sich in der Beschäftigung mit der Kunstproduktion selbst setzt, sind nicht immer einzuhalten: „Als freier Künstler sollte man nicht im Staatstheater auftreten“, hatte er sich gesagt, es auf Einladung seines künstlerischen Wegbegleiters Matthias von Hartz doch getan – und sich nach seinem Auftritt bei „go create TM resistance“ im Schauspielhaus geärgert, dass ihm Veranstalter die Tür einrannten, die ihn zuvor abgewiesen hatten. „Es geht“, musste er ernüchtert feststellen, „nur nach der Verpackung.“

Premiere: Mi, weitere Termine: 2.–4., 8.–11.5., 19.30 Uhr, Kampnagel k1