Die schöne japanische Traurigkeit

Nähe durch Distanz: ‚Licht der Versuchung‘ heißt Hirokazu Kore-Edas erster Spielfilm „Maboroshi No Hikari“ übersetzt. Der Titel ist ästhetisches Programm: Jede Szene ist wunderschön komponiert – alltäglich und doch poetisch

„Das Licht der Versuchung“ hat der japanische Regisseur Hirokazu Kore-Eda seinen ersten Film genannt. Das ist wörtlich gemeint: Das geheimnisvolle Licht lockt Fischer auf dem Meer in den Tod.

Aber der Titel beschreibt auch die Poetik des Filmemachers. Denn er widersteht der Versuchung, seine Geschichte mit aufdringlicher Nähe zu erzählen. Die Menschen sind oft in Schatten verborgen oder treten nur langsam aus ihnen heraus. Und „Maboroshi No Hiraki“ besteht fast nur aus Totalen und Halbtotalen. Die wenigen Nahaufnahmen sind von Dingen und wirken wie Ruhepunkte. Kore-Eda will seinen Figuren nicht zu nahe treten. Gerade deshalb strahlt sein Film solch eine erstaunliche Schönheit und Traurigkeit aus.

Zuerst lernen wir Yumiko als 20-jährige Ehefrau und Mutter kennen. An einer kleinen Szene, in der sie ihren Sohn Yuichi badet, erkennen wir, dass sie glücklich ist. Dann wird sie durch einen für sie unerklärlichen Vorfall Witwe.

Fünf Jahre später treffen wir sie wieder, wenn sie durch eine Heiratsvermittlerin Tamio kennen lernt und zu ihm in seinen abgelegenen Heimatort an einer sehr rauen Meeresküste reist. Wie sie dort nach einiger Zeit über den Verlust hinwegzukommen scheint, wie aber doch immer eine Leere in ihr spürbar ist, davon erzählt der Film mit seiner scheuen Distanz, die uns aber paradoxerweise Yumiko und ihre Familie sehr nah bringt. Denn jede Szene ist wunderschön komponiert, zugleich alltäglich, fast banal und doch poetisch.

Es wird nicht viel geredet in diesem Film. Statt etwas durch lange Dialoge zu verdeutlichen, reicht Kore-Eda etwa eine Einstellung, in der Yumiko aus der Hintertür ihres Hauses in den Sonnenschein hinausgeht.

Auch Raum und Zeit werden in „Maboroshi“ spürbar wie in nur wenigen anderen Filmen. Bald fühlt man sich an diesem kleinen Küstenort zuhause, weiß, was man von den Neckereien der alten Marktfrau zu halten hat, freut sich über die leckere Melone, die die Familie zusammen in der Sommerhitze isst. Und man wartet fast schon sehnsüchtig auf die immer gleiche Einstellung vom Meer aus auf das Haus der Familie an dem abschüssigen Kai, wo dann vielleicht ein Auto anhält, oder die Kinder mit ihrem Hund spielen.

Diese Kunst, Einstellungen von Straßenansichten, Bushaltestellen oder einfach nur einem abgestellten Fahrrad zu beseelen, hat Kore-Eda von Yasujiro Ozu („Die Reise nach Tokio“, „Spätherbst“) gelernt. Vieles an „Maboroshi No Hikari“ erinnert an die Filme dieses japanischen Meisterregisseurs. So ist die Kamera oft in der Augenhöhe eines auf einer Reismatte Sitzenden positioniert. Sie beobachtet die Protagonisten eher indirekt, wie aus den Augenwinkeln und verführt nie zur Illusion, alles über sie zu erfahren.

Eine Versöhnungszene, bei der die Kamera in Hollywood so nah wie möglich an die Liebenden herangepirscht wäre, um nur ja in vielen Gegenschüssen jede zärtliche Regung einzufangen, ist bei Kore-Eda in einer einzigen riesigen Totalen im Zwielicht gefilmt, bei der die beiden als dunkle Striche in der Landschaft fast unsichtbar bleiben. Hier sagt Yumiko ihrem Mann, dass sie immer noch an dem Rätsel des Todes ihres ersten Mannes verzweifelt. Und Tamio erzählt ihr als eine mögliche Lösung die Geschichte vom „Licht der Versuchung“.

Wilfried Hippen

„Maboroshi No Hikari“ (OmU), Kino 46, heute und morgen 18.00 Uhr undSonntag bis Dienstag 20.30 Uhr