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Archiv-Artikel

„So funktioniert Europa einfach nicht“

Nach dem Berliner Dreiergipfel wirft der grüne Spitzenkandidat Daniel Cohn-Bendit dem Trio Schröder-Chirac-Blair vor, es wolle nur von eigenen Problemen ablenken. Die Idee eines EU-Industriekommissars kritisiert er als „Rückschritt in die 70er-Jahre“

INTERVIEW RALPH BOLLMANN

taz: Herr Cohn-Bendit, die großen drei der EU wollen in Brüssel einen Industriekommissar installieren. Warum kritisieren Sie diesen Vorschlag?

Daniel Cohn-Bendit: Das Problem ist, dass dieser Industriekommissar auch für die Umwelt zuständig sein soll. Eine solche Unterordnung der Umweltpolitik unter die Industriepolitik wäre ein Rückschritt in die Siebzigerjahre. Gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Auseinandersetzungen etwa um die Chemierichtlinie oder um die Altautoverordnung kommt das überhaupt nicht in Frage.

Für einen Industriekommissar ohne Umweltkompetenz wären Sie also zu haben?

Für eine europäische Innovationspolitik bin ich durchaus. Aber die großen drei können nicht einerseits sagen, Europa brauche kein zusätzliches Geld – und andererseits eine neue Innovationspolitik einfordern. Ohne finanzielle Möglichkeiten kann ein neuer Superkommissar gar nichts machen. Deshalb wird die Initiative im Sand verlaufen.

Aus den Ländern, die am Dreiergipfel nicht beteiligt waren, gab es heftige Kritik – am lautesten aus Italien. Ist der Protest berechtigt?

Den Protest von Berlusconi finde ich lächerlich. Wenn er dabei gewesen wäre, hätte er gegen einen solchen Gipfel überhaupt nichts einzuwenden.

Was ist dagegen zu sagen – zumal Italien annähernd so viele Einwohner hat wie Frankreich oder Großbritannien?

Auch ich finde die Argumentation von Blair nicht sehr gut, es sollten die bevölkerungsreichsten Länder zusammentreffen. Ein großes Land hat nicht zwangsläufig bessere Ideen. Es wäre klüger gewesen, kleinere Länder mit einzuladen – zum Beispiel Luxemburg oder Belgien. Sie könnten andere Staaten leichter davon überzeugen, dass es bei den neuen Vorschlägen nicht um nationale Interessen geht, sondern um Europa.

War der Gipfel ein Schritt zum Europa der zwei Geschwindigkeiten?

Das möchten die drei, aber das wird nicht funktionieren. Die Regierungschefs großer Staaten glauben gern, sie könnten mit solchen Initiativen aus ihren innenpolitischen Schwierigkeiten herauskommen. Das ist der gemeinsame Nenner von Schröder, Chirac und Blair. So funktioniert Europa aber nicht.

Können sich die drei bei Berlusconi bedanken – weil seine Wortmeldung jede seriöse Kritik am Gipfel diskreditiert?

Berlusconi wird in Italien hoffentlich bald überwunden sein. Das eigentliche Problem ist Spanien. Die großen drei haben Aznar die Gelegenheit gegeben, eine Gegenfront aufzubauen. Die Debatten um den Stabilitätspakt oder die Finanzperspektiven werden aber nicht zu lösen sein, wenn wir nur noch eine Auseinandersetzung haben: hier das Dreigespann – dort Aznar, Polen und andere.

Sie sind gerade in Rom, wo heute der Gründungskongress der Europäischen Grünen beginnt. Auch dort dominieren die Deutschen das Geschehen. Machen Sie den gleichen Fehler wie die großen drei?

Im Gegenteil. Natürlich haben die Deutschen eine gewisse Bedeutung. Wir sind die einzigen Grünen in einer nationalen Regierung, und Deutschland ist ein wichtiges Land. Aber die deutschen Grünen sagen nicht: So wird es laufen. Sie betten sich freiwillig in einen europäischen Zusammenhang ein.

Aber solange die anderen schlechtere Wahlergebnisse haben, können sie trotzdem kaum etwas ausrichten?

Bei der letzten Europawahl hatten die Franzosen ein besseres Ergebnis. Und wie es damals keine französische Cohn-Bendit-Mafia gab, so gibt es jetzt keine deutsche Cohn-Bendit-Mafia.