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Archiv-Artikel

Metaphysischer Bohnerglanz

„Camera obscured – Die Kamera und das Museum“ im Hannoveraner Sprengel

Erinnert sich noch jemand an die Zeit, als ein Museum eher Kirche denn Zirkus war? Als der Weg zur Kunst durchs Museum ging – und nur durchs Museum? Als die Wissenschaft dort ihr Wissenschaffen präsentierte? Vom heiligen Ernst dieser öffentlichen Institution erzählt „Camera obscured“ im Sprengel Museum.

Kurator Vid Ingelevics setzt die „objektive, wertfreie Präsentation von Ideen“, die mit den gesammelten Objekten illustriert würden, in Beziehung zur zeitgleich entwickelten Fotografie. Frühe Fotografen betrachteten die Museen huldigend: Abgelichtet wurden die Schlangen der Gläubigen, respektive Museumsbesucher und der gewissenhafte Ernst etwa beim Erstellen naturkundlicher Sammlungen: Wie aus Draht und Gips ein Giraffenbulle modelliert, ein Vogel gestopft wird oder ein Maler mit strengem Blick den letzten Farbpunkt auf die Brustwarze einer neolithischen Sonnenanbeter-Puppe tupft. Fotos einer auf Klarheit und Deutlichkeit reduzierten Welt.

Was einerseits mit Technik zusammenhing: Die großformatigen Plattenkameras ermöglichten einen Detailreichtum von geradezu ernüchternder Schärfe. Andererseits war diese Fotografie Ausdruck des positivistischen Zeitgeistes, das Chaos um uns herum durch Versachlichung beschreib-, also beherrschbar zu machen. Das vorwärtsstrebende 19. Jahrhundert setzte seiner permanenten Veränderung die museale und fotografische Konservierung scheinbar „objektivierend“ entgegen.

1853 wurde vom Londoner South Kensington (heute Victoria & Albert) Museum erstmals ein Fotograf eingestellt. In Hannover ist eine seiner Aufnahmen von 1857 zu sehen: Durch geschickt gesetztes Licht erscheinen die Schatten eines Menschen- und Gorilla-Skeletts einander noch ähnlicher als die Skelette selbst. Daneben eine enthäutete Menschen-Plastik in muskulösem Triumph – als wären wir bei den „Körperwelten“.

Lustiger ist der Blick hinter die Kulissen. Wie etwa eine Elefantennachbildung zum Museum kutschiert wird, wie Wischmopwringer dem Boden metaphysischen Bohnerglanz verleihen oder die Schützenmannschaft der Wärter eine Trophäe präsentiert. Und wir leiden mit: leere Bilderrahmen während der Kriege, Umwidmungen oder die Ausstellungseröffnung „Der ewige Jude“, 1937 in München.

Solche Bilddokumente lagern massenhaft in den Archiven – sofern nicht, wie im British Museum, die alten Plattennegative als Glasabfall verkauft wurden. Im New Yorker Metropolitan Museum of Art hat Ingelevics 750.000 Negative entdeckt. Interessant dabei, den Wandel der Präsentationsformen zu verfolgen. Deren Ästhetik gehorchte zunächst den Vorbildern der Malerei. Es regierten Zentralfiguren bei symmetrischem Bildaufbau und andere herkömmliche Kompositionen wie der Goldene Schnitt.

Zunehmend entwickelten die Fotografen aber einen eigenen Blick. Die Präsentation von Wissenschaft und Kunst wurde aus künstlerisch-individueller Perspektive interpretiert, das Museum zur Muse.

Geöffent bis zum 9. Mai