: Praxisgebühr
VON ULRIKE WINKELMANN
Diese Schmach. „Entweder Sie zahlen auf der Stelle zehn Euro, oder Sie werden hier nicht behandelt“, brüllte die Sprechstundentante quer durchs Wartezimmer. Dagegen fühlte sich das Erwischtwerden beim Schwarzfahren wie eine Auszeichnung an.
Dabei hatte der Arzt beim letzten Mal eindeutig gesagt, Katrin G. brauche keine Quittung über die jüngst gezahlte Praxisgebühr mehr vorzuweisen. Seine Sprechstundentante sah das zwei Tage später anders. Der Arzt war nicht zu sprechen. Nur damit Ruhe war, legte Katrin G. die zehn Euro noch einmal auf den Tresen. Weiß glühend.
Und dann war da noch die 83-jährige Schwiegermutter von Klaus H., die aufgrund einer Konfusion rings um die Begriffe „Überweisung“ (an einen anderen Arzt) und „Einweisung“ (ins Krankenhaus) mehrfach zwischen Hausarzt, niedergelassenem Chirurgen und Klinik hin- und herpendelte. Mindestens viermal musste sie begründen, warum sie die Gebühr kein weiteres Mal zahlen werde. Mittlerweile kann sie sogar wieder Fahrrad fahren und regt sich auch gar nicht mehr so auf.
Das ist bei Kirsten K.s 61-jährigem Vater (61) anders. Der sollte für die Abholung von im Dezember gemachten Röntgenbildern im Januar zehn Euro bezahlen. Er weigerte sich. Die Assistentin habe exakt einen Handgriff ins Regal getan, um die Bilder zu überreichen: Dafür eine Gebühr? Niemals!
Nach vergeblichen Versuchen, die Beratungshotline der zuständigen Krankenkasse zu erreichen, gipfelte die sich anschließende Diskussion mit dem Orthopäden in dessen Satz: „Die Praxisgebühr heißt Praxisgebühr, weil eine Praxis in Anspruch genommen wird. Müsste sie nur bezahlt werden, wenn ein Arzt in Anspruch genommen wird, hieße sie Arztgebühr.“ Der Rentner sitzt heute noch an den Protestbriefen, die er an Kassen, Abgeordnete und Ärzteschaft schreibt.
Als nervenschonend sind solche Erfahrungen nicht zu bezeichnen. Was aber tun, um Pulsrasen, Schweißausbrüche und alle anderen Symptome von Wut und Frust zu vermeiden? Nach einer vertiefenden Umfrage unter ausgewählten Praxisgebühr-Geschädigten ergeben sich fünf Möglichkeiten des gelassenen und optimistischen Umgangs mit der ungeliebten Gebühr:
1 Ersparen Sie sich den Gang zum Arzt
Hustenschnupfenheiserkeit, Fieberfrost und Unwohlsein ist nichts, aber auch gar nichts, was Ihren Arzt interessiert. Langweilen Sie ihn nicht unnötig, ersparen Sie sich den Gang und das Geschwätz der Arzthelferin darüber, dass die Praxis sich nun extra eine Kasse zulegen musste, um darin die Geldscheine aufzubewahren. (Igitt! Geld! Beim Arzt!)
Lernen Sie stattdessen folgenden Heilpflanzenrefrain auswendig: Kamille und Thymian, Pfefferminz und Holunderblüten, Brombeerblätter und Salbei. Und Lindenblüten nicht vergessen! Alles günstig im Beutelchen oder lose zu haben und auch beim nächsten Schnupfen noch aufbrühbar. Noch billiger: Zwiebeln in Wasser kochen und dann den Saft trinken. Noch billiger: Ein warmes Fußbad und schlafen. Für alles Weitere fragen Sie Omi. Oder die Omi Ihrer Nachbarin.
2 Machen Sie ein Schnäppchen
Nehmen Sie sich Ihren Kalender und markieren Sie den 1. Januar, den 1. April, Juli und Oktober: Das sind fortan wichtige Daten in Ihrem Jahresrhythmus, denn es beginnt jeweils das Abrechnungsquartal.
Ab jetzt gilt: Schnäppchen nutzen. Einmal zahlen, ein Vierteljahr zum Arzt gehen! Lassen Sie sich gleich zu Quartalsbeginn gegen irgendwas behandeln und nehmen Sie dann so viele Überweisungen wie möglich mit. Was man immer brauchen kann, sind auf alle Fälle: Überweisungen zum Orthopäden, zum Haut-, Augen- und HNO-Arzt sowie zum Radiologen und Psychiater. Im Internet unter www.fachaerzte.com finden Sie eine schöne Liste mit dutzenden weiteren Spezialisten, bei denen Sie dann auch noch vorbeischauen können. Kostet ja nichts mehr!
3 Erschleichen Sie sich eine Behandlung. Innerhalb der Öffnungszeiten
Funktioniert nur beim Zahnarzt, aber auch hier wollen zehn Euro gespart sein. Außerdem können Sie sich nun wunderbar für alle erlittenen Erniedrigungen („Ich setze jetzt die Spritze an Ihrem Gaumen an. Schön aufhalten. Sagen Sie, waren Sie denn schon im Urlaub?“) rächen, müssen allerdings eine gewisse Expertise im Psychoterrorisieren mitbringen. Es gilt, den Zahnarzt glauben zu machen, Sie wollten bloß eine Vorsorge-Untersuchung. Die kostet keine Gebühr.
Das wissen Sie, aber reden Sie trotzdem, als wolle er Geld, klagen Sie ihn an: Er will Sie jetzt auch noch abzocken, aber Sie bestehen auf ihrem Recht auf Prävention! Wo kommen wir denn da hin, wenn jetzt schon die Gesundheitsvorsorge mit Gebühren belegt wird! Wo doch außerdem jeder weiß, dass die Zahnärzte die größten Freunde der Privatliquidation sind! Im Stuhl weisen Sie ihn auf die etwas scharfkantige Ecke an Ihrem jüngst etwas abgebrochenen Schneidezahn hin. Das gehört doch wohl mit zur Vorsorge, die mal eben abzuschleifen! Und das Zahnsteinwegpolieren kann doch jetzt auch nicht der Staatsakt sein. Falls Sie ihn dann schon genug genervt haben, macht er es umsonst. Sonst springen Sie wutschnaubend vom Stuhl und pöbeln im Wartezimmer ein bisschen herum.
4 Erschleichen Sie sich eine Behandlung. Außerhalb der Öffnungszeiten
Sie glauben ja gar nicht, wie viele Ärzte unbefangen bei gesellschaftlichen Anlässen herumstehen. Schnappen Sie sich bei der nächsten Party einen, isolieren Sie ihn von den Umstehenden und behelligen Sie ihn mit allen medizinischen Fragen, die Sie immer schon in Ruhe besprechen wollten. Er wird aus Rücksicht auf die Gastgeberin – wer weiß, vielleicht sind Sie ihre beste Freundin und beschweren sich sonst sofort? – nicht wagen, Ihnen zu entfliehen.
5 Friseur, Pizza, Arzt – wagen Sie einen Preisvergleich
Ein Friseurbesuch kostet fünfmal mehr als eine Praxisgebühr. Zehn Euro sind zwei überflüssige Caipirinhas in der Bar. Zehn Euro, das sind eine Pizza und eine Cola. Das ist ein Zehntel Schlüsselnotdienst. Ist ein Treffen mit einem voll ausgebildeten Mediziner, der extra für Sie ein ganze Praxis mit Geräten ausgestattet und Assistentinnen für Sie eingestellt hat, nicht mehr wert als ein Zehntel Schlüsselnotdienst? Wo bekommt man heutzutage noch eine so billige Dienstleistung?
Freuen Sie sich, dass sich überhaupt jemand noch für zehn Euro mit Ihnen befasst. „Reframing“ nennt man das in der Kunst des Stressmanagements: Sehen Sie die positive Seite an jedem Übel. Nehmen Sie von zu Hause einen besonders frischen Zehn-Euro-Schein mit.
Denken Sie schon beim Einstecken, dass dieser Schein Ihrer Krankenkasse helfen wird. Dass Sie es wohl wert schätzen können, von einem echten Arzt behandelt zu werden. Dass Sie jetzt endlich begriffen haben, wie das Gesundheitssystem funktioniert. Dass Sie damit die ganze Volkswirtschaft auch besser verstehen. Jede Praxisgebühr ist auch eine Chance!