: berliner szenen Kunst kann alles
Bonbonpapier, bemalt
Nachmittags in der Mariechenkäfer-Bar. Ich tippe auf meinem Laptop, ein unentschlossener Versuch, eine brutalere Szene hinzubekommen als Bret Easton Ellis in „American Psycho“. Gegen Abend wird es voller, mein unfreundlicher Gesichtsausdruck hält auch die Wagemutigsten davon ab, sich zu mir zu setzen.
Nur bei einem jungen Mann, der eine Socke als Mütze trägt, funktioniert es nicht. Ich tippe weiter. „Stört es dich, wenn ich was male?“ Der junge Mann zeigt auf ein Stück Pappe. „Nein, wieso?“, lüge ich. Er setzt nach: „Ich plane eine Ausstellung und lade alle Gäste persönlich ein. Willst du mir deine Adresse geben, damit ich dich einladen kann?“ Er gibt mir sein Notizbuch, es ist von vorn bis hinten vollgekrakelt. „Willst du was von mir sehen?“ Der junge Mann kramt einen Stapel Schnipsel vor. „Das hier habe ich vorhin gemacht.“ Gekrakel auf Zuckerpapier, Schokoladenpapier, Bonbonpapier. Ich versuche, interessiert zu wirken. Aber vielleicht sollte ich sagen, dass ich mich mit moderner Kunst nicht auskenne? „Ist das Wachsstift?“, frage ich. „Ja. Kennst du dich mit moderner Kunst aus?“ – „Nein, ich hab nur früher auch mit Wachsstiften gemalt.“ – „Welches gefällt dir am besten?“ – „Das, oder nein, das“, lüge ich. „Welches willst du haben?“ – „Oh … dann das hier.“ Ich betrachte glücklich ein Stück Bonbonpapier. „Was bist du von Beruf?“, fragt er mich. „Ich schreibe für die taz.“ – „Ich kenne auch einen, der bei der taz ist.“ – „Tatsache?“ – „Ich weiß aber nicht, wie er heißt.“ – „Interessant. Ich müsste jetzt aber weiterarbeiten. Ich schreibe gerade einen Artikel.“ – „Worüber denn?“ – „Über Windkraft. Langweilig.“ – „Warum machst du es dann?“ Gute Frage. Warum mache ich es dann? „Weiß nicht. Kann ja nicht jeder Künstler sein.“ JOCHEN SCHMIDT