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Archiv-Artikel

Trainerdämmerung in Köpenick

Fliegt er oder fliegt er nicht? Das ist die Frage, die beim 1. FC Union die letzten Wochen beherrschte. Coach Mirko Votava steht unter Dauerdruck, weil die Chemie mit Präsident Jürgen Schlebrowski nicht stimmt. Der versucht, den Eiertanz zu schönen, schaut sich aber schon nach Ersatzkandidaten um

Mirko Votava steht das Wasser bis zum Hals. Wieder mal. Wie gefährlich der Pegel diesmal wird, vermag der Trainer des 1. FC Union nicht zu sagen. „Das müssen Sie den Präsidenten fragen“, erklärt Votava. „Wir geben keine Wasserstandsmeldungen ab“, antwortet Präsident Jürgen Schlebrowski. Für die Spieler gehört der unsichere Arbeitsplatz ihres Übungsleiters mittlerweile zur Routine. „Das geht seit dem ersten Spieltag so. Eigentlich denkt man sich gar nichts mehr dabei“, sagt Mittelfeldlenker Thomas Sobotzik.

Fliegt er oder fliegt er nicht? Seit Saisonbeginn spielt Votava in Köpenick die Rolle des Stehaufmännchens mit Fußballlehrer-Lizenz in dem zur Posse ausgearteten Schauerstück. Schlebrowskis Vorgänger Heiner Bertram, der den früheren Nationalspieler im November 2002 verpflichtete, bereute zwischenzeitlich den Vertragsabschluss mit Votava. Im vergangenen September musste der damalige Ober-Unioner von seinem Aufsichtsrat gehindert werden, seinen „Fehler“ zu revidieren.

Votava blieb im Amt. Denn die fällige Abfindung für einen geschassten Coach wäre angesichts dessen erst 2005 endenden Kontrakts von dem klammen Club kaum zu stemmen gewesen.

Während Bertram letztlich über die „September-Affäre“ stürzte, erwartet Votava den nächsten Angriff aus der neuen Chefetage. Dass die Chemie zwischen diesen beiden Polen nicht mehr stimmt, ist in Köpenick ein offenes Geheimnis. „Wir müssen den Bock endlich umstoßen“, fordert der unter Dauerdruck stehende Votava von seiner Mannschaft, die tief im Tabellenkeller überwintert. Dass ihm aber selbst Siege gefährlich werden können, wurde dem gebürtigen Prager nach dem respektablen 3:0-Heimerfolg gegen Aue am Vorsonntag bewusst. „Ein unverdienter Sieg, um ein Tor zu hoch ausgefallen“, grummelte Schlebrowski. Signale des Vertrauens klingen anders.

Viele Fans im Stadion Alte Försterei hätten sich neben den drei Punkten auch noch den Kopf des Trainers gewünscht für ein Happyend. „Ich habe doch niemanden erschossen“, entfuhr es dem ob der gereizten Atmosphäre verwunderten Votava. Nach dem 5. Saisonsieg hielten Präsidium und Aufsichtsrat gar eine Krisensitzung zum Thema Trainerwechsel ab. Letztendlich sah die Clubleitung von einer Beurlaubung ab, weil man sie der Öffentlichkeit nach einem 3:0-Triumph schwerlich hätte vermitteln können. Die finanzielle Frage schien diesmal geklärt: Das Geld reiche jetzt für die Abfindung, wurde nach einem Kassensturz signalisiert.

Schlebrowski macht keinen Hehl daraus, dass er bereits Kontakte geknüpft hat zu potenziellen Ersatzkandidaten wie Aleksandar Ristic, Frank Wormuth oder Herman Andreew. Noch versucht Unions Präsident, den Eiertanz mit diplomatischen Worten zu schönen: „Unser Trainer heißt Mirko Votava. Dass wir wegen der akuten Abstiegsgefahr sehr aufmerksam sind und den Markt im Auge behalten, gebietet allein schon die Verantwortung für den Verein.“

Aue-Bezwinger Votava, der nach dem 3:0 zu seiner Familie nach Bremen flüchtete („Ich wollte den Sieg genießen“), kontert mit einer Imagekampagne in eigener Sache. „Ich bin nicht arrogant, ich bin harmoniebedürftig“, beteuert der Europameister von 1980, der pfeifende Fans als „Hohlköpfe“ verunglimpft und die Vereinsführung gerne düpiert hat.

Vor der gestrigen Auswärtspartie bei Greuther Fürth (siehe Kasten) hörte der Union-Coach wieder mal die Wassermassen heranrauschen. „Wir müssen hundert Prozent bringen“, lautete seine Motivations-Predigt an die Mannschaft. Wohl wissend, dass hundert Prozent irgendwann zu wenig sein könnten. JÜRGEN SCHULZ