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Archiv-Artikel

Plattfisch vom Kutter

Demnächst kommen wieder Mai-Schollen auf den Teller. Beim Einkauf kommt es darauf an, wer sie gefangen hat. Die theoretische Länge von einem Meter erreicht kaum ein Fisch mehr

von GERNOT KNÖDLER

Die Scholle ist ein Ansitz-Jäger. Platt wie sie ist, legt sie sich auf den Meeresboden und wartet darauf, dass eine Beute in ihren Geruchs- oder Gesichtskreis gelangt. Dann schwimmt sie auf und schnappt sich ein Fischlein. Oder sie wartet ab, bis eine im Meeresboden steckende Muschel ihren Rüssel an die Oberfläche schiebt, und beißt ihn ab. Die Muschel lebt weiter und die Scholle wird schön fett, damit sie, wenn es Frühling wird, auf unseren Tellern landen kann.

Die Mai-Scholle darf man wohl als eine Erfindung der Fisch-Vermarkter betrachten, doch ein bisschen was ist dran: Ende April/Anfang Mai beendeten die Fischer früher ihre Winterpause. Die kräftezehrende Laichzeit der Schollen lag dann einige Wochen zurück, die Fische hatten Gelegenheit, Fleisch anzusetzen. „In der Laichzeit schmeckt kein Fisch“, bestätigt der Finkenwerder Fischer Heinz Oestmann.

Dabei ist jedoch umstritten, ob man Scholle guten Gewissens essen darf. Die Umweltorganisation Greenpeace, die in diesem Frühjahr zum zweiten Mal einen Einkaufsratgeber für Fisch veröffentlicht hat, würde sagen: Nein! Die Lage des Bestands und die Auswirkungen der bei der Scholle angewandten Fangmethoden seien „katastrophal“.

Die Fischer pflügenden Meeresboden um

Die Plattfische werden mit zum Teil tonnenschweren „Baumkurren“ gefangen – Schleppnetzen, die auf Kufen über den Meeresboden gleiten. Je größer die Netze und je schwerer die Kurren, desto tiefer graben diese sich in den Boden ein und pflügen ihn um. Würmer, Schnecken und Muscheln, die im Sediment leben, werden hilflos ihren Räubern ausgeliefert. Die Artenvielfalt sinkt. Der Meeresboden der südlichen Nordsee wird in weiten Teilen mehrmals pro Jahr auf diese Weise beackert, wobei neben den Schollen viele Fische und Weichtiere anderer Arten aufgescheucht werden und als fast „wertloser“ Beifang in die Netze geraten.

Der Bestand an Schollen in der Nordsee ist in den vergangenen Jahrzehnten stark zurückgegangen. Heinz Oestmann fängt heute noch 30 Prozent dessen, was er in den 80er Jahren aus der Nordsee geholt hat. Auch in den 90ern habe es noch gute Jahre gegeben, seit sieben Jahren sei es jedoch damit vorbei.

„Im vergangenen Jahr habe ich einmal 16 Schollen in 24 Stunden herausgeholt“, erzählt der Fischer. Früher seien es einmal drei Tonnen in einer Stunde gewesen. „Nur langsam erholen sich die Nordseeschollen von ihrem Tiefstand im Jahre 1997“, schreibt Greenpeace unter Berufung auf die Daten des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES).

Fischer und Forscher wollen den Niedergang der Bestände aber nicht allein der Fischerei zuschreiben. „Es gibt einen Zusammenhang mit der Klima-Änderung“, sagt Martin Purps vom Institut für Hydrobiologie und Fischereiwissenschaft der Uni Hamburg. Auch die Verschmutzung der Nordsee spiele eine Rolle, allerdings eine kleinere als früher, weil die Bemühungen der Anrainer um die Reinhaltung der Flüsse Erfolg hatten.

„Die Fischerei als solche kann einen Bestand nie ausrotten“, sagt Peter Koch-Bodes vom Verband für Fischfachhandel im Bundesverband des deutschen Lebensmitteleinzelhandels. Ein paar wenige Fische überlebten im weiten Meer immer, bestätigt Purps. Sie genügten, um eine Population wieder aufzubauen. Aus einer Überfischung folgt demnach eher ein Fischersterben als ein Artensterben, wobei offen bleibt, wo die kritische Grenze des so erstaunlich stabilen Ökosystems Meer liegt. Wieviele Arten darf der Mensch an den Rand der Ausrottung bringen, bevor die Nahrungskette zusammenbricht?

Der ICES tritt dafür ein, den Schollenfang in diesem Jahr um 40 Prozent zu verringern, damit der Bestand auf eine stabile Größe wachsen kann. Koch-Bodes findet, die Fische sollten sich mindestens einmal in ihrem Leben reproduzieren können. Purps zufolge gibt es heute kaum eine Scholle, die über zwei Mal hinaus gelangt. Damit könne sich die Scholle zwar offenbar halten. Trotzdem findet Purps das „pervers“ angesichts der Tatsache, dass so ein Fisch bis zu 50 Jahre alt werden, bis zu einen Meter lang und sieben Kilo schwer werden kann. „Ein Kilo ist schon groß“, sagt Oestmann.

Wenn schon Scholle, dann vom kleinen Kutter

Helfen würde es, wenn mehr kleine statt große Fangschiffe unterwegs wären. Sie fingen bei gleichem Personaleinsatz geringere Mengen Fisch und operieren mit leichteren Baumkurren, die den Meeresboden weniger tief durchpflügen und daher weniger Schaden anrichten.

Für Martin Purps stellt sich daher weniger die Frage, ob er Scholle kaufen darf, sondern wo. „Wenn ich sie kaufe, dann in Travemünde an einem kleinen Fischkutter“, erzählt er. Das stärkt die letzten kleinen Fischer wie Oestmann, der samstags in Finkenwerder und sonntags am Hamburger Fischmarkt ebenfalls direkt vom Kutter verkauft. Und es garantiert Purps frischen Fisch. Denn da sind sich alle einig: Frisch, das heißt vom Eis, nicht tiefgefroren, schmeckt die Scholle am besten.