piwik no script img

Archiv-Artikel

Effekte bremischer Sanierungspolitik

Zehn Jahre Sanierungspolitik des Bremer Senats – Die Auswirkungen auf die bremische Bildungslandschaft – oder: Pisa ist auch eine Bilanz nach Jahren der Sparpolitik im Bildungsbereich / Alexa Sieling hat für die Arbeitnehmerkammer eine Studie gemacht und fasst zusammen

„Das Furchtbarste an der verlässlichen Grundschule ist der versteckte Unterrichtsausfall, den die Eltern gar nicht mitbekommen“

Die Bildungspolitik ist seit längerer Zeit in den Schlagzeilen, nicht erst seit der Veröffentlichung der Pisa-Studie meist in negativer Weise. Denn bundesweit ist seit 1990 die Zahl der Schüler pro Lehrer um zehn Prozent gestiegen, die Zahl der Unterrichtsstunden aber in fast allen Bundesländern gesunken. Lehrerstellenstreichungen sind trotz sukzessive steigender Schülerzahlen erfolgt, die Unterrichtsausfall, Vertretungsstunden und Überstunden der Lehrer zur Folge haben. Diese Politik ist in Bremen in besonderer Weise vollzogen worden. Während die Investitionsausgaben seit 1997 stark stiegen, wurden die „konsumtiven“ laufenden Ausgaben trotz steigender Kosten eingefroren.

Es hat sich – letztlich auch durch die Senkung der Bildungsausgaben – bestätigt, dass von der Angleichung der Werte an den Bundesdurchschnitt und sonstiger Kürzungen zunächst alle Kinder betroffen sind. Die Angleichung der Schüler-Lehrer-Relation und der Klassenfrequenzen an den Bundesdurchschnitt ist erfolgt. Eine Orientierung an den anderen Stadtstaaten, die in den meisten Bereichen diese Entwicklung nicht mitgemacht haben, wollte der Senat offensichtlich nicht.

Im Vordergrund stand ein Abbau des Lehrkräftebestands seit 1995 von über zwölf Prozent bei steigenden Schülerzahlen. Im Schuljahr 1995/96 waren 53.193 Schüler und 5.124 Vollzeit-Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen der Stadtgemeinde Bremen, im Schuljahr 2000/01 waren es 54.760 Schüler und nur noch 4.513 Lehrer. Dabei wies die Kultusministerkonferenz 1995 auf die bundesweite Pensionierungswelle und den drohenden LehrerInnenmangel hin und empfahl, zur Nachwuchssicherung zwischen 3,5 Prozent und 4,5 Prozent des Bestandes jährlich neu einzustellen. Zugleich hat der Senat eine Pflichtstundenerhöhung der Lehrkräfte und eine 40-prozentige Streichung der Bedarfe der Schulen für Förderung, Leitung und Entwicklung sowie Fortbildung und pädagogische Reformen verfügt.

Die Bildungslandschaft in Bremen ist für den Betrachter relativ unübersichtlich. Es existier(t)en nebeneinander Gesamtschulen, Schulzentren, Stadtteilschulen, Integrierte Haupt- und Realschulen, Gymnasien und diverse Modellschulen. Bald wird es dann noch mehrere Ganztagsschulen bzw. „Ganztagsangebote“ geben, die in Höhe von 28 Millionen Euro vom Bund (mit-)finanziert werden sollen.

Ein Grund ist sicherlich, dass mit Zustandekommen der Ampelkoalition 1991 neben den von der SPD favorisierten, nach der Bildungsreform in den 70er Jahren eingeführten Schulzentren (jeweils unabhängig geführte Hauptschule, Realschule und Gymnasium auf einem Gelände) Zugeständnisse an die Grünen (Gründung von Integrierten Stadtteilschulen, Volle Halbtagsschulen = Grundschulen bis 13 Uhr) und an die FDP (Gründung von selbstständigen Gymnasien) gemacht worden sind. 1999 ist während der Großen Koalition von SPD und CDU die Verlässliche Grundschule flächendeckend eingeführt worden – zu Lasten der Vollen Halbtagsschule an einigen Schulstandorten. Hinzu kommt, dass Bremen als Stadtstaat große soziale Unterschiede in der Bevölkerung hat. Es gibt einen hohen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund (40,7 Prozent, davon 24,3 Prozent türkischer Herkunft und 42,5 Prozent osteuropäischer Herkunft) und eine sehr hohe Sozialhilfequote von 9,9 Prozent.

Die Einsparmaßnahmen im Bildungshaushalt

Das Land Bremen hat die Ausstattung unter anderem im Bildungsbereich derjenigen der anderen Bundesländer anzugleichen, musste sie aber nicht unterschreiten. Der dafür maßgebliche Bundesdurchschnitt als Vergleichswert im Bereich der Schüler-Lehrer-Relation wurde im Vorschul- und Gymnasialbereich weit überschritten, in den anderen Bereichen ist er erreicht bzw. leicht unterschritten worden. Gegenüber den Stadtstaaten hat Bremen in allen Schularten einen deutlich schlechteren Wert, nur im Vorschulbereich liegt Bremen besser als Hamburg.

Für den Bereich der Klassenfrequenzen hat Bremen bis zum Jahr 2000 den Bundesdurchschnitt in den Vorschulen, den Grundschulen, den Orientierungsstufen und den Realschulen zum Teil weit überschritten. In den restlichen Schularten ist er unterschritten worden. Hamburg hat nur bei den Realschulen und den Gymnasien bessere Werte als Bremen, Berlin bei den Orientierungsstufen und Hauptschulen. Die Effekte für den Haushalt sind immens: Die Personalausgaben sind im Land Bremen seit 1999 von ca. 352 Millionen Euro auf nunmehr ca. 321 Millionen Euro im Jahr 2001 gesunken. Dem gegenüber sind die Sachausgaben für Bremen und Bremerhaven leicht gestiegen.

Die Auswirkungen für die Betroffenen – nach einer Befragung von Schulleitern

Für den Primarbereich berichteten die befragten Schulleiter, dass in den letzen zehn Jahren aufgrund der Absenkung der Schülerstundentafel, der Streichung der Halbgruppenstunden in Deutsch, Mathematik, Textilem Gestalten und Werken, sowie dem Wegfall von Förderstunden in allen Bereichen Auswirkungen für Schüler und Lehrer deutlich spürbar sind. Besonders betroffen sind Schulen mit einem hohen Ausländeranteil und neuer Aussiedlergeneration, die oftmals völlig ohne Deutschkenntnisse ist. Die Deutschförderung ist an einer Schule von 70 Stunden auf 25 Stunden bei 18 Klassenverbänden heruntergefahren worden. Von insgesamt 420 Kindern, davon 200 mit Förderbedarf, macht die Anzahl dieser Förderstunden – umgerechnet auf den Klassenverband – eine Stunde pro Woche. Zu Zeiten der Vollen Halbtagsschule, als die Schule 70 Förderstunden (1978 bis 1995) hatte, konnte durch qualifizierte Fachkräfte ein Förderband eingerichtet werden mit Kleingruppenbetreuung in Mathematik und Deutsch. Nachdem der Halbgruppenunterricht für Textiles Gestalten und Werken weggefallen ist, bieten einige Schulen wegen des großen Elternwunsches danach und wegen des Drucks anderer Grundschulen, die es auch ermöglichen, diesen Unterricht an und nehmen hierfür einige ihrer zugewiesenen Sprach-Förderstunden. Auch Gruppen für verhaltensauffällige Kinder sind um zwei Drittel der Stunden gekürzt worden.

Entgegen der Koalitionsvereinbarung von 1999, die Verläßliche Grundschule mit einer weitgehenden Deckung des Unterrichts nach Stundentafel einzuführen, ist in der Realität lediglich eine „Aufbewahrung“ der Kinder möglich.

„Das Furchtbarste an der verlässlichen Grundschule ist der versteckte Unterrichtsausfall, den die Eltern gar nicht mitbekommen. Die Kinder werden in andere Klassen verteilt und aufbewahrt, wenn ein Lehrer plötzlich ausfällt.“ Die Mittel für 400 Kinder belaufen sich an einer Schule auf 2.000 Euro, pro Kind sind dies 5 Euro. Das Material zum Basteln, Werken, Spielen kann nicht beschafft werden. Mittlerweile werden in zunehmendem Maße von den beauftragten Trägern nur noch Mütter ohne pädagogische Ausbildung für diesen wichtigen Bereich eingesetzt.

Den Kinder in den Grundschulen und Schulzentren in Stadtteilen mit relativ homogener Bevölkerungsstruktur wird der Standard der früheren Jahre – wie der Halbgruppenunterricht – nicht mehr zuteil, nur scheint es, dass einerseits die engagierten Eltern dieses Defizit besser auffangen können und andererseits Schwimmunterricht, Sprache oder sonstige „Angebote“ dort trotz der eigentlich alle treffenden Einsparungen geleistet werden können. Für die Brennpunktschulen mit hohen Ausländer- und Aussiedleranteilen und/oder sozial schwachen Familien, sind die Maßnahmen eine Katastrophe. Die Schulleiter der Sekundarstufe I bestätigten die Auswirkungen, die die Einsparmaßnahmen haben.

„Es gibt weniger Zuweisungsstunden, das schafft Druck. Uns trifft besonders hart, dass seit 1995/96 bis heute bei steigenden Schülerzahlen (57 Prozent), steigenden Klassenzahlen (21 Prozent), steigenden Unterrichtsstunden (52 Prozent) und steigenden Klassenfrequenzen ( 30 Prozent ) die Sonderstunden bzw. Förderstunden aber um 34 Prozent gefallen sind. Die Abschaffung des Halbgruppenunterrichts auch in Fremdsprachen erweist sich als fatal.

Auf einer Realschule wird der Sprachanfangsunterricht in Spanisch für 34 Schüler erteilt und dann noch in der 6./7. Stunde. Auch Englisch wird nur 3 Stunden in der 10. Realschulklasse unterrichtet und demnächst auch in der 9. Klasse auf dann 3 Stunden reduziert, weil die Stunden ab der 3. Klasse in der Grundschule gegeben werden.

„Auch Gruppen für verhaltensauffällige Kinder sind um zwei Drittel der Stunden gekürzt worden.“

Besonders betroffen von der Streichung des Halbgruppenunterrichts und der Kürzung der Sonderbedarfe sind wiederum Schulen in sozialen Brennpunkt-Stadtteilen, wo Aussiedlerkinder ohne Deutschkenntnisse sind. Eine einzige Kollegin ist oftmals für die Deutschförderung zuständig, was naturgemäß nicht ausreichend ist. Jüngst hat auch Bildungssenator Lemke vertreten, dass die Klassenfrequenzen dort gesenkt werden müssen und Lehrerstellen und Mittel aus überdurchschnittlich gut ausgestatteten Stadtteilen (Schwachhausen) in benachteiligte umgeschichtet werden müssen.

Als eine erfolgreiche Antwort auf die Probleme der Schulen in diesen Stadtteilen gilt das Konzept der – bei SchülerInnen und deren Eltern äußerst beliebten – Integrierten Stadtteilschule mit ihrem erweiterten Halbtagsbetrieb und Mittagstischangebot.

Stadtteilschule – eine zehn Jahre alte Antwort auf moderne Fragen

Wenn auch dort die Standards heruntergefahren worden sind, sind 100 bis 120 Unterrichtsstunden am Nachmittag garantiert. Die Kinder haben Unterricht von 14.30 bis 16.00, bzw. 15.30 bis 17.00 für die zweite Kursfolge. Offene Angebote auch für den Stadtteil wie der Webpunkt und Internetcafés sind bis 18 Uhr zugänglich. Es finden dann Wahlpflichtkurse statt, die die Kinder ab dem 7. Schuljahr einen Nachmittag machen müssen, ab dem 9. Schuljahr zwei Kurse oder einen geballten. Die Kurse, die frei sind, können angewählt werden wegen der zum Teil begrenzten Teilnehmerzahl, andere Kurse werden auch freiwillig als AG genutzt. Am wöchentlichen Erfinderkurs beispielsweise nehmen 100 Kinder von insgesamt 500 auf der Schule teil. Der Nachmittag ist bewusst nicht dem Sportunterricht gewidmet. „Überhaupt versuchen wir seit langem, den Unterricht gerade in den Naturwissenschaften internationalen Standards anzupassen, indem fächerübergreifend unterrichtet wird. Wir wollen wegkommen von dem unmodernen Frontalunterricht, bei dem der Lehrer den autoritären Menschen ohne (fachliche) Schwächen spielt. Die Verbindungen mit und Kapazitäten in der Universität, die ich gar nicht bieten kann, haben den Schülern einen Preis bei Jugend forscht gebracht. Insofern sind wir vielleicht tatsächlich ein biss–chen finnisch.“

Die Pisa-Ergebnisse für Bremen verweisen noch einmal eindrucksvoll auf die Abwärtsspirale der letzten Jahren, vor allem, weil die getesteten Kinder seit neun Jahren – und damit seit Beginn des Sanierungszeitraums – das bremische Schulsystem durchlaufen.