: Der faule Verbraucher
Die Energieversorger erhöhen ihre Preise für Strom – wieder einmal. Bis zu 21 Prozent mehr sollen die Kunden im kommenden Jahr zahlen. Und das alles nur, weil sie zu träge sind, sich zu wehren
VON SVENJA BERGT
Vielleicht reicht es dieses Mal. Vielleicht schafft es die aktuelle Welle der Strompreiserhöhungen, die Verbraucher endlich aufzurütteln. Falls sich von Wellen überhaupt noch sprechen lässt, gibt es doch gefühlt alle drei Tage eine neue Meldung über gestiegene Strompreise. 354 Grundversorger wollen nun nach Angaben des Verbraucherportals Verivox zum Jahresbeginn die Strompreise anheben, teilweise um bis zu 21 Prozent.
Das Potenzial für Veränderungen wäre bei den Bedingungen da: Nur 17 Prozent der Kunden haben es innerhalb der zehn Jahre, die der deutsche Strommarkt nun liberalisiert ist, geschafft, ihren Stromanbieter zu wechseln. Das heißt umgekehrt: Vier von fünf Kunden überweisen ihre monatlichen Abschlagszahlungen immer noch auf das Konto des örtlichen Standardanbieters. Der ist normalerweise alles andere als günstig. Und öko schon gar nicht.
Klar, man könnte die Preise einfach auf den Markt schieben: Was nützt ein Wechsel, wenn sich die Preise sowieso nicht groß unterscheiden? Und wenn auch Ökostrom-Anbieter in Negativ-Schlagzeilen geraten, weil 100 Prozent öko nicht immer 100 Prozent öko ist? Doch wer sich bequem zurücklehnt, hat zumindest eine Mitschuld an den Preisen. Wer schweigt und zahlt, zeigt, dass er viel mit sich machen lässt. Zu viel.
Denn die Wechselmüdigkeit der Kunden spielt den Stromkonzernen in die Hände. Wer 3 Prozent Erhöhung 2006 ohne zu murren zahlte und auch die Tariferhöhung von durchschnittlich über 4 Prozent im vergangenen Jahr schluckte, der wird doch auch in diesem Jahr noch ein bisschen mehr zahlen können. Ganz nach dem Motto: Strom braucht man immer. Dass die Konzerne die Faulheit der Verbraucher kräftig ausnutzten, zeigt auch das laufende Jahr: RWE und Eon hatten zuletzt zum Jahresanfang ihre Tarife erhöht. Als an diesem Montag dann RWE als erster der vier großen Versorger, zu denen noch Eon, EnBW und Vattenfall gehören, eine Tariferhöhung seiner zwei größten Regionalversorger um knapp 7 Prozent ab April ankündigte, hatte man im Hause Eon offiziell noch nicht über neue Tarife entschieden. Erst einen ganzen Tag später die Mitteilung: Auch Eons Regionalgesellschaften schlagen zwischen 7,4 und 9,2 Prozent auf. Sieben Millionen Kunden werden das zu spüren bekommen.
„Die allgemeine Marktentwicklung“, „Der Markt macht den Preis“, sind sich die Unternehmenssprecher einig. Und der Markt, das sind eben auch die zahlenden Kunden. Schließlich werden nur rund 20 Prozent des Stroms an der Strombörse gehandelt. Der Rest der Kostenkalkulation, die nicht auf Steuern, Umlagen oder Abgaben zurückgeht, fällt unter das Geschäftsgeheimnis. Wo das zusätzliche Geld, das der Markt angeblich einfordert, hinfließt, lässt sich leicht mit einem Blick auf die Bilanzen der Stromversorger ausmachen. Um 5 Prozent stieg der Erlös der Konzerne im vergangenen Jahr. Schon mit den aktuellen Preisen liegt Deutschland im europäischen Vergleich in der Spitzengruppe. Nur Italien, die Niederlande und Dänemark sind noch teurer. Die Steuern herausgerechnet, müssen sogar nur in Großbritannien und Italien die Kunden mehr zahlen.
„Wenn einem regionalen Versorgern 10 Prozent der Kunden abwandern, dann muss er schon neu kalkulieren“, beziffert Thorsten Storck, Sprecher des Verbraucherportals Verivox, die kritische Masse an Kunden, die wechseln müsste. Schließlich könnte das Unternehmen nicht einfach die Preise entsprechend erhöhen, da es sonst noch mehr Kunden verlieren würden.
Doch nicht nur die Kunden müssen wechseln, auch die alternativen Stromanbieter müssen ihre potenziellen und werdenden Kunden stärker unterstützen. Zwar braucht kein Verbraucher zu fürchten, plötzlich im Dunkeln zu stehen – eine Angst, die immer noch Menschen vor dem Wechsel zurückschrecken lässt. Doch ganz so einfach, wie immer behauptet wird, ist der Vorgang nicht: Renitente Stadtwerke, die ihre Altkunden nicht gehen lassen wollen, Kündigungen nur verzögert bearbeiten und Verbrauchern bei einem Umzug erst einmal einen Jahresvertrag anhängen, können aus einem Akt, der eigentlich aus dem Ausfüllen und Abschicken eines Formulars besteht, einen Beschwerde-Marathon machen.
Auch hier gilt: Je mehr Kunden sich wehren, desto schwieriger wird es für die vier Platzhirsche, ihre Position zu behaupten. Deshalb: Wer den Anstieg nicht will, möge jetzt wechseln. Oder für immer zahlen.