: Die Hochschulen zahlen die Zeche
Über Studiengebühren diskutiert die studierte wie die nichtstudierte Nation voller Hingabe – aber ohne Ahnung. Eine neue Studie aus Kassel zeigt: Das Mobiltelefon ist Studis mehr Wert als die Uni. Die Fragen nach offenen Schulen, besseren Stipendien und mehr Geld für Hochschulen werden verdrängt
VON CHRISTIAN FÜLLER
Als die PDS jüngst einen Samstag lang über Hochschulpolitik diskutierte, herrschte eine recht spezielle akademische Atmosphäre. Ein „studentisches“ Grüppchen fläzte in den hinteren Reihen, das den ReferentInnen zujubelte oder sie niederschrie – je nachdem, wie sich die Redner zu Studiengebühren stellten. Die Diskussionsbeiträge unterbrachen die „Studenten“ satzweise durch Applaus – oder eben durch Buhrufe.
In den Saal getraut hatte sich auch Berlins Wissenschaftssenator Thomas Flierl. Der PDS-Mann hat es gewagt, ein Modell von Studienkonten vorzuschlagen, bei dem es nach 24 Semestern (sic!) dazu kommen kann, dass Studierende einzelne Veranstaltungen nachkaufen müssen. Als Flierls Büroleiterin die Zahlen nannte, meldete sich ein junger Mann zu Wort: Studienkonten sind Studiengebühren, basta. Und sie sind, schnappte er, eine repressive Bevormundung junger Menschen.
Bei solcherlei „Argumenten“ bekommt Ulrich Teichler einen dicken Hals. „Wir erleben gerade eine Fülle vereinfachter Begründungen“, sagt der anerkannte Hochschulforscher, „mit denen legitimiert wird, warum wir für oder gegen die Einführung von Studiengebühren sein sollten.“ Teichler und seine Kollegen vom Wissenschaftlichen Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung in Kassel hat die ebenso aufgeheizte wie simplifizierende Gebührendebatte zu einer Analyse inspiriert.
Die Forscher verglichen, auf empirischer Grundlage, die Studien- und Hochschulfinanzierung in Europa – und kamen zu einem interessanten Ergebnis. Die Frage der Studiengebühren ist für „Uni und Geld“ alles andere als ausschlaggebend. „Eine Einführung von Studiengebühren bringt nicht den erhofften Segen, schadet aber auch nicht in dem Maße, wie Kritiker meinen“, sagte Teichler dazu bei einer Konferenz von Uni-Forschern.
In der Gebührendebatte fokussieren Befürworter gern darauf, dass auch Studis etwas beitragen müssen, um die Finanzmisere der Unis zu beheben. Und die Gegner kaprizieren sich darauf: Gebühren schrecken vom Studium ab. Die Kasseler haben nun herausgefunden, dass es für diese vermeintlich stärksten Argumente empirisch nur sehr schwache Belege gibt. Die Gebühren sind nämlich alles andere als kostendeckend für die Hochschulen. Und: Die Gebühren für ein Studium sind in Deutschland im europäischen Vergleich mit am niedrigsten – sie liegen, streng genommen, bei null (siehe Kasten).
Polemisch gesagt: Studierende geben aktuell für Mobiltelefone mehr Geld aus als für die Uni. Auch wenn man die üblichen Einschreibe- und Sozialgebühren oder selbst den Freifahrtschein für den öffentlichen Nahverkehr hinzurechnet, ist das Telefon den Studis immer noch mehr Wert als die Uni. Das Handy lassen sich 18- bis 19-Jährige im Schnitt 35 Euro je Monat kosten; Berliner Studis zahlen monatlich 33 Euro fürs Studium, Freiburger 15,50 – inklusive Semesterticket.
Rechnet man die in Europa üblichen Studiengebühren hinzu, verändert sich das Bild natürlich. In England zahlen Studis bislang 136 Euro pro Monat an Studiengebühren, in vielen Ländern liegt der Preis der Bildung bei 65 Euro, in Deutschland werden Gebühren in verschiedenen Bundesländern für Studierende fällig, die vier Semester über der Regelstudienzeit liegen. Ein Langzeitstudent in Freiburg etwa kommt auf 98,80 Euro (inklusive Semesterticket) monatlich.
Alle diese direkten Studienkosten liegen aber nicht nur weit unter den Lebenshaltungskosten (428 bis 800 Euro pro Monat), die Studierende in Europa durchschnittlich aufzubringen haben. Ihr sozialer Selektionscharakter ist auch deswegen viel kleiner, als die erbitterten Gegner vermeinen, weil die soziale Frage an den Universitäten wesentlich von anderen Faktoren geprägt wird. Wer kommt überhaupt auf die Uni? Und wie sieht das Stipendiensystem aus?
Deutschlands Studentenauswahl ist hochselektiv. Das dreigliedrige Schulsystem lässt aus Tradition nur rund 30 Prozent nach oben durchsteigen – die allergrößte Mehrheit Akademiker- und Beamtenkinder, ganz wenige Arbeiterkinder. Und das Bafög ist, obwohl gerade runderneuert, im europäischen Vergleich kein Glanzstück. „Deutschland bewegt sich mit etwa 25 Prozent Gefördertenquote noch immer im unteren Bereich“, schreiben die Autorinnen der Kasseler Studie „Mit gleichem Maß messen?“. Stefanie Schwarz-Hahn und Meike Rehburg verweisen auf Quoten von 80 bis 87 Prozent in den Niederlanden, Schweden und Dänemark.
Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Die Kasseler Hochschulforscher fragten auf ihrer Tagung „Wer zahlt die Zeche?“ – eindeutige Antworten aber hatten sie nicht parat. Verständlich. „Wir sind Empiriker, wir geben eigentlich keine politischen Ratschläge“, sagt etwa Stefanie Schwarz-Hahn zur taz. Aber als Person rückt sie schon heraus, welche Gebühren-Conclusio aus den Daten folgen könnte: „Mit mir können Sie über Studiengebühren reden – wenn sie elternabhängig erhoben werden.“ Das heißt: Es wäre kein großer sozialer Ausschluss, wenn man die vielen privilegierten Studenten, die es nun mal gibt, zur Kasse bäte. Denn sie sind die großen Gewinner des deutschen Systems von Geld und Geist an der Uni: Sie ziehen maximalen Nutzen aus dem Arrangement von Zulassungswegen und Gebührenfreiheit – und sie erbringen minimalen Aufwand dafür.
Aber das war noch keine Antwort auf die Frage, wer die Zeche zahlt. Die Zeche zahlen bislang die Hochschulen – denn über ihre gravierende, seit Jahren anhaltende Unterfinanzierung redet man nicht so gern wie über Studiengebühren.
Die PDS-Konferenz übrigens war speziell einberufen worden, um Thomas Flierl von Studienkonten abzubringen. Als auf dem Abschlusspodium die Experten zunächst über ungerechte Schulen und vernachlässigte Unis sprachen, krallte sich einer der studentischen Claqueure ein Mikro. Es müsse jetzt sofort um Uni-Gebühren und eine progressive Hochschulpolitik gehen. Und das bedeute: Studieren müsse für alle Menschen immer frei von Gebühren sein. Flierl zeigte sich unbeeindruckt. Alles für alle umsonst, das gehe leider nicht. Auch nicht mit ihm, einem Senator der PDS.