Peterchens Mondfahrt

Ein Besuch vom anderen Stern: Mehr als zehn Jahre ließ Peter Gabriel seit seiner letzten Welttournee ins Land ziehen. Im Berliner Velodrom schaute der Daniel Düsentrieb des Pop mal wieder bei den gewöhnlichen Sterblichen vorbei

Eine Begegnung der dritten Art kündigt sich an: Blaues Licht erhellt die Bühne, die wie eine Insel aus dem Menschenmeer im Berliner Velodrom ragt. Es wirkt, als sei ein Raumschiff in der riesigen Mehrzweckhalle gelandet. Bedeutungsvolles Wabern deutet auf die baldige Ankunft von Außerirdischen hin. Oder, in diesem Fall, von Peter Gabriel und dessen Band.

Peter Gabriel ist so etwas wie der Daniel Düsentrieb des Pop. Alle paar Jahrzehnte entsteigt er dem Kokon seiner Gedankenwelt, um mit der Welt da draußen Kontakt aufzunehmen.

Bei seiner letzten Tournee, spottete er kürzlich in einem Interview, habe man von manchen Seiten aus nur seinen Rücken gesehen. Mit der runden Bühne dagegen käme nun jeder in den Genuss, seinen Rücken zu sehen.

Seit seiner letzten Welttournee sind allerdings auch satte zehn Jahre ins Land gezogen, und Peter Gabriel ist sichtlich gealtert. So tritt im Velodrom ein alter Mann mit Ziegenbärtchen auf die Bühne, der ein wenig wie Sean Connery aussieht.

Auf Deutsch, wenngleich mit starkem Akzent, wendet sich Gabriel ans Publikum und singt zur Begrüßung „Hier kommt die Flut“ – ein Song von einem jener obskuren deutschen Alben, die er vor einem guten Vierteljahrhundert aufgenommen hat. Auch daran lässt sich ablesen, um was für einen Veteranen es sich bei dem 53-Jährigen handelt.

Von seiner Anziehungskraft aber hat er seit seinen größten Erfolgen in den Achtzigerjahren kaum etwas eingebüßt. Auch wenn sein Publikum sichtlich mit ihm gealtert ist – der Durchschnitt im Velodrom liegt bei Wir-um-die-Vierzig –, so hält es ihm doch die Treue: Das Konzert in Berlin war jedenfalls schon seit Tagen ausverkauft.

Mit Peter Gabriel in die Jahre gekommen sind auch dessen Musiker, von denen zumindest der männliche Teil kaum noch ein Haar auf dem Kopf aufweist. Alle sind sie schwarz gekleidet, wie Peter Gabriel, dessen Kostüm wie eine Mischung aus Mao-Anzug, Mönchskutte und Yedi-Ritter-Kluft wirkt. So schlicht und spartanisch wie die Garderobe, aber auch genau so durchdacht und effektvoll ist die gesamte Show geschneidert: Es ist viel Technik im Spiel, die sich aber erst allmählich offenbart.

Im Laufe des Abends schwebt ein riesiges Überraschungsei aus Stoff von der Decke herab. Später wird sich daraus eine Kugel schälen, die eine Weile lang wie ein gütiger Mond über den Musikern schwebt. Und noch etwas später verwandelt sich dieser Mond dann in eine gigantische Pusteblume aus durchsichtigem Plastik. In das Innere des Ballons steigt dann Peter Gabriel hinein, um damit über die Bühne zu rollen. Ab und an hält er inne und hüpft darin herum wie ein Besessener, und mit ihm hüpft die ganze Pusteblume.

Peter Gabriel wäre nicht er selbst, würde er solchen Gimmicks nicht tiefere Bedeutung verleihen. So interpretiert er seine Ballonfahrt als Gleichnis auf den Karma-Glauben an den göttlichen Kreislauf aller Dinge. „Gott könnte ein Hamster sein“, spinnt er die Idee weiter. Manchmal hat man den Eindruck, der gute Mann verbringe zu viel Zeit allein in seinem Studio, um seine versponnenen Projekte auszubrüten. Andererseits strahlt er aber auch die Zufriedenheit eines Menschen aus, der all diese Projekte auch verwirklichen kann, ungestört von den Zwängen des Pop-Betriebs.

Das Ausmaß seiner Fantasie wird deutlich, als sich die gesamte Decke herabsenkt wie eine hydraulische Bühne, an deren Rand Peter Gabriel in einer Art Moonwalk entlangspaziert: kopfüber, an einem hängenden Einrad befestigt. Zu den Klängen von „Solsbury Hill“ umkreist er auf einem Fahrrad die Bühne. In solchen Momenten merkt man, dass Peter Gabriel ein glücklicher Mensch sein muss. DANIEL BAX