: Sauertöpfische Ekstase
Botho Strauß und die Windkrafträder in der Uckermark. Eine Idyllen-Replik
Und ewig raunt es im Spiegel. Jedenfalls immer dann, wenn Botho Strauß seine kostbaren Gedanken in die von ihm verachtete Welt entlässt. Dann nämlich ist der Anwalt der deutschen Mainstream-Literatur, Spiegel-Redakteur Volker Hage, zur Stelle und druckt den Meister des betulichen Schwafelns vorab. Das ist sein Beitrag, der Not leidenden Hochkultur von Grass bis Strauß selbstlos unter die Arme zu greifen. Hage durfte mal das Haus von Strauß in der Uckermark betreten, und darauf ist er heute noch sehr stolz.
Als es beim Spiegel noch Journalisten gab, die auf derlei merkwürdige Privilegien verzichteten, konnte man Folgendes über Strauß lesen: „In der Kultur-Moral der 50er Jahre stehengeblieben, als das Fernsehen und die Rockmusik noch des Teufels waren, des Menschen wahre Bestimmung aber darin lag, ein gutes Buch zu lesen und klassische Musik zu hören. Wie der selige Süsterhenn mit der Aktion ‚Saubere Leinwand‘ einst, so tritt uns jetzt Botho Strauß als Anwalt der reinen Seele mit Abitur, Allgemeinbildung und Belesenheit entgegen und kämpft den alten Kampf gegen ihre Verunreinigung durch neumodische Belanglosigkeit. Der Ungeist des Fernsehens, die böse Reklame, die banalen Magazine – die ganze verbotene jugendgefährdende Welt des pfäffischen Bildungskleinbürgertums der Adenauer-Ära breitet Strauß noch einmal aus.“
Und das tut Strauß heute noch, 22 Jahre nachdem diese Kritik erschienen ist. Christian Schultz-Gerstein, der dies damals geschrieben hat und der dem Spiegel zu einem literaturkritischen Niveau verholfen hat, das dieser später nie wieder erreicht hat, ist inzwischen verstorben. Hage und Strauß aber leben. Was für ein Skandal!
Das ranzige Altherrengenöckel, durch welches die konservative Kulturkritik von Botho Strauß ihren adäquaten Ausdruck findet, hat sich deshalb über Jahrzehnte hinweg so gut konserviert, weil sich Strauß als moralischer Kulturwächter geriert. Statt jedoch zu analysieren, schlägt er den hohen Ton der Entrüstung an, den man von Leuten kennt, die affektiert die Nase rümpfen, wenn jemand den Fisch nicht mit dem Fischmesser tranchiert. Eigentlich weilt Strauß in anderen Sphären, in denen er pikiert zur Kenntnis nimmt, was sich in den Niederungen der gemeinen Welt abspielt. Die Gegenstände seiner Verachtung fasst er mit spitzen Fingern an. Dieses aus der Uckermark tönende und mit „sauertöpfischer Ekstase“ (Schultz-Gerstein) vorgetragene Lamento ist manchmal nur unverständlich, manchmal aber auch nur bizarr. „Eine brutalere Zerstörung der Landschaft“, beklagt Strauß, „als sie mit Windkrafträdern zu spicken und zu verriegeln, hat zuvor keine Phase der Industrialisierung verursacht.“ Mit Quatsch ist dieses Statement noch freundlich umschrieben, genau genommen ist es nur Banane, denn so wenig „Windkrafträder“ ästhetisch hermachen, so stehen sie doch in der Regel in einer Landschaft, an der ein Windrad nicht mehr viel verschandeln kann.
Wer weiß, vielleicht lebt ja Botho Strauß tatsächlich ein Eremitendasein und bekommt nicht mit, was auf der Welt passiert, weil er so viel denken muss, aber ein Blick auf Leverkusen und die Bayer-Werke, auf Marzahn oder auch auf die Hölle einer beliebigen Vorgartensiedlungsidylle müsste genügen, um zu wissen, was Landschaftszerstörung wirklich bedeutet. Was Strauß an ihr allerdings nicht gefällt, ist tatsächlich – man fasst es nicht – „die Auslöschung aller Dichter-Blicke der deutschen Literatur von Hölderlin bis Bobrowski“.
Man sieht Strauß dichtend durch die Landschaft schreiten, da wird sein Auge von einem Windkraftrad beleidigt. Potz Blitz und ei der Daus! So nicht, Windrad!, zürnt der Poet, das gibt eine saftige Abmahnung. „Eine schonungslosere Ausbeute der Natur lässt sich kaum denken, sie vernichtet nicht nur Lebens-, sondern auch tief reichende Erinnerungsräume.“ Warum eigentlich? Was ein Lebensraum ist, weiß man, seit die Nazis deswegen in den Osten eingefallen sind. Aber was sind Erinnerungsräume?
Solche Fragen stellen sich ständig, weil Strauß begrifflich gern den Nebel einer ganzen Wagner-Oper verbreitet, aber selbst, wenn er mal einen richtigen Gedanken hat, wie die Unmöglichkeit, von allem, was passiert auf der Welt, berührt zu sein, hat man das schon einmal viel klarer und eleganter bei Enzensberger formuliert gefunden. Strauß ist der „geistig neureiche Kulturspießer“ geblieben, der sich hinter seinem „phraseologischen Gebetbuch“ (Schultz-Gerstein) verschanzt und mit Bildungsbürgertum protzt, sodass man sich selbst bei der flammend geforderten „Auflehnung gegen die ungeheure Erniedrigung der Menschen durch eine totalitäre Unterhaltungsindustrie“ unwohl fühlt, denn so gut sich das anhört, man wird wohl niemanden finden, der Strauß da widersprechen möchte. Wo aber alle einig sind, ohne dass sich am Problem etwas änderte, da befindet sich Botho Strauß in seinem Element, da herrscht der Geist des kritischen Opportunisten. KLAUS BITTERMANN