Musikalische Betrachtungen eines Unpolitischen

Klare Ziele hat Juanes: Es will den Menschen ins Gewissen singen. Und sie zum Tanzen bringen will er auch. In Lateinamerika ist der Sänger und Gitarrist mit seiner Mischung aus Rock und kolumbianischer Folklore längst ein Star. Nun kommt er zum ersten Mal auf Tour nach Deutschland

Das Estadio Campin in Bogotá gilt in Kolumbien als Gipfel des Erfolgs. Wer als Musiker in der Betonschüssel auftritt, in der jedes Wochenende die „Millionarios“ gegen den Ball treten, hat es geschafft. Juanes hält den derzeitigen Rekord: Letztes Jahr im Mai kamen 48.000 Zuhörer in die Spielstätte des dahinsiechenden Fußballclubs, um den Gitarristen zu feiern, der in ganz Lateinamerika längst als Superstar gilt.

Doch obgleich kaum eines der bunten Blätter in Bogotá noch nicht das Foto des 31-Jährigen auf der Titelseite hatte, scheint dem bescheiden wirkenden Sänger der Hype noch nicht zu Kopf gestiegen zu sein. „Ich habe immer über die Sachen gesungen, die zum Alltag in unserem Land gehören: über die Straße, die Liebe, den Liebeskummer. Über den Krieg oder die gesellschaftlichen Unterschiede und die Gleichgültigkeit“, sagt der Musiker und streicht sich die halblangen Haare aus der Stirn. Solche Themen finden sich auch auf seiner neuen CD wieder, „Un día normal“. Das durchaus poppig klingende Album enthält mit „A Dios le Pido“ seinen bislang größten Hit: ein überaus tanzbarer Appell für ein Ende des Blutvergießens in Kolumbien. Das Stück stürmte die Charts in Spanien und den USA und brachte Juanes den internationalen Durchbruch.

In Kolumbien gilt Juanes schon lange als wichtige Stimme der Jugend. Die Sehnsucht nach Frieden, nach einer Perspektive hat er wie kein anderer in seinen Stücken zum Ausdruck gebracht: ein Grund für seine Popularität, die sich in Kolumbien locker mit jener von Shakira messen kann. Im Gegensatz zu ihr bezieht Juanes allerdings deutlich Stellung zu der Situation in Kolumbien. Das Konzert im Estadio Campin widmete er den Opfern des Bürgerkrieges und den Soldaten, „die ihr Leben für ein bisschen Ruhe im Land geben“. Den Namenlosen will er mit solchen Aktionen ein Gesicht geben und seinen Landsleuten ins Gewissen singen.

Auf seinem Album „Fijate Bien“ („Hör gut zu“) erinnerte er an die Abertausende von Flüchtlingen, die von ihrem Land vertrieben wurden, und warnte im gleichen Atemzug vor Landminen. Und auch die sozialen Verhältnisse in Kolumbien, das von extremen Einkommensunterschieden geprägt ist, fließen in seine Texte ein. „Man muss die Augen aufmachen“, sagt er. So erzählt er, wie er eines Sonntags beim Brötchenholen an einer Straßenecke vier Halbwüchsige sah: „Ohne Decke, sich gegenseitig wärmend, lagen sie da“, erzählt der Sänger, der selbst zwischen Bogotá und Miami pendelt. „Keiner der zahlreichen Passanten auf der Hauptverkehrsader nahm Notiz von ihnen.“ Außer Juanes, den die Szene zu „La Historia de Juan“ inspirierte: Das Stück handelt vom Schicksal der Straßenkinder in Kolumbien, um die sich niemand schert. Dem in der Drogenmetropole Medellín aufgewachsenen Musiker nimmt man ab, dass ihm das Schicksal dieser Kinder nicht gleichgültig ist.

Da wirkt es fast paradox, dass Juanes zu Kolumbiens Präsidenten Álvaro Uribe hält, obwohl der für viele zuallererst für den Krieg steht. Uribe versucht, das Bürgerkriegsland mit militärischen Mitteln zu befrieden – für Juanes die einzige Option für ein Ende der alltäglichen Gewalt. Einen Widerspruch sieht er darin nicht. Der kolumbianischen Guerilla spricht er jede Existenzberechtigung ab: Kriminelle seien das, die nichts in der Hand hätten als die Waffe. Mit der Gewalt in Kolumbien hat Juanes seine eigenen Erfahrungen gemacht. Sein Cousin wurde von Kidnappern ermordet, trotz Lösegeldzahlung, ein guter Freund wurde in einem Nachtclub erschossen. Sich selbst bezeichnet der Musiker als „unpolitisch“. Doch mit seiner Parteinahme für den Präsidenten ist der Metallica-Fan schon mittendrin in der kolumbianischen Innenpolitik.

Seine musikalische Karriere begann Juanes einst in einer Metalband. Zwölf Jahre griff er bei der Gruppe namens Ekhymosis in die Saiten, bevor er nach neuen Herausforderungen suchte. Mit seiner Gitarre und einem Demotape im Gepäck ging er nach Los Angeles, um sich bei Gustavo Santaolalla vorzustellen. Der Produzent, der zahlreiche Bands aus dem alternativem Latin-Spektrum betreut, nahm Juanes unter Vertrag. Die Zusammenarbeit erwies sich als überaus fruchtbar. Gleich sieben Nominierungen für den Latin-Grammy-Award erhielt Juanes 2001 für sein rockiges Debütalbum „Fijate Bien“. „Ich war zornig, depressiv, und auf der Suche nach meinem eigenen Weg“, schildert Juanes seine damalige Gefühlslage, die sich auf dem Album stark niederschlug.

Wesentlich positiv gestimmter kommt dagegen das Folgealbum „Un Día normal“ („Ein normaler Tag“) daher. Wie schon auf dem Vorgänger fließen auch hier wieder Elemente aus der kolumbianischen Folklore in einen funkigen Rocksound ein: Vor allem Vallenato, die akkordeongepumpte Volksmusik des ländlichen Kolumbien (und Lieblingsmusik der Drogenbarone), scheint Juanes zu inspirieren. Schon als Knirps schenkte ihm der Vater ein Akkordeon, um Vallenato spielen zu lernen. Seitdem fühlt sich Juanes dem Genre verbunden, das in seiner Heimatstadt Medellín aus nahezu jeder Kneipe schallt. Die Verschmelzung der Stile symbolisiert für Juanes die „Rückkehr zu meiner eigenen Kultur“. Und die ist nun mal kolumbianisch. Weshalb Juanes auch nicht mit dem Gedanken spielt, in Zukunft einmal in Englisch zu singen, wie es seine Kollegin Shakira getan hat.

KNUT HENKEL

Tournee: 27. 2. Mainz, 28. 2. Stuttgart, 29. 2 Bremen, 1. 3. Hamburg, 3. 3. München, 6. 3. Berlin, 7. 3. Köln