: Die Liebe der Gebrüder Samwer
Die New Economy ist tot? Für drei Brüder in Berlin und ihre Firma Jamba! geht der Traum weiter. Wie das? Simpel: Ihr wichtigstes Medium ist nicht das Internet – sondern Mutti
VON NIKLAUS HABLÜTZEL
So sah die neue Welt mal aus, als es sie noch gab. Die weiß angemalte Fabriketage ist vollgestopft mit Computern. Wände gibt es nicht, Krawatten auch nicht. Arbeit? Besser sollte man von Kommunikation sprechen. Oder von Innovation. Aber der Traum ist aus. Die neuen Firmen sind alle pleite, die außer einer solchen Etage nichts weiter besaßen als eine hübsche Website, um das Geld von Leuten auszugeben, die keinen Schimmer davon hatten, was damit geschah.
Oliver Samwer möchte den Begriff „New Economy“ trotzdem beibehalten. Für ihn ist das der richtige Name für seine Art von Unternehmen. Jamba! heißt es heute. Es hieß mal alando und dann – eBay. Der alando-eBay-Case ist in die Wirtschaftswissenschaft eingegangen. Sechs Deutsche, darunter Alexander, Oliver und Marc Samwer, damals 28, 30 und 32 Jahre alt, hatten 1999 eine Plattform für private Online-Auktionen gegründet und nach drei Monaten für 43 Millionen Dollar in Aktien an den expandierenden, aber ebenfalls noch kleinen Konkurrenten aus den USA verkauft. Zum Fall für die Wissenschaft wurde das Geschäft, weil es so schlecht war. Ein paar Milliarden Dollar wären der richtigere Preis gewesen, aber das konnte damals nicht einmal ein Samwer wissen.
Vorbei. Die Brüder sind an eBay nicht mehr beteiligt, im Sommer 2000 haben sie Jamba! gegründet, und verkaufen – mit einer Webseite – Klingeltöne, Logos und Spiele für Handys. Die Leute, die ihnen heute das Geld dafür vorschießen, sind glücklich. Ein Nettogewinn steht zwar noch nicht in der Bilanz, aber die Firma wächst und wächst. Oliver beschreibt es mit den Händen, es sieht aus, als wolle ein Gärtner seine Blumen streicheln. „Es gedeiht“, sagt er, „Jamba! gibt es inzwischen auch in der Schweiz, in den Niederlanden, in Großbritannien, bald auch in Asien.“
Aber was ist schon Geld? Jamba! ist genau die Fabriketage, die es eigentlich nicht mehr gibt, vollgestopft mit Computern, ohne Wände und Krawatten. Der Traum ist nicht vorbei. Er geht immer weiter, es macht wirklich Spaß, hier zu sein, allen, die hier arbeiten. Das ist zu sehen und zu riechen. Sie wären gar nicht hier, wenn sie keinen Spaß daran hätten und nicht genau wüssten, was diese Worte bedeuten.
Wie ist das möglich? Am Ende eines Seitenflügels der Jamba!-Etage am Spreeufer in Berlin- Kreuzberg ist doch eine Wand eingezogen. Sie ist aus klarem Glas, der Konferenzraum ist einsehbar. Wir sind „nahbar“, sagt Oliver, der „Chief Executive Officer“ auf seine Visitenkarte drucken ließ. Nahbar: Er liebt dieses Wort. Es fällt immer wieder.
Liegt darin das Geheimnis? „Flache Hierarchie“ war eines der Schlagworte der New Economy. Die meisten verstanden darunter, dass sie selbst sehr genial seien. Schon immer ganz oben also und ganz vorne, daher keinesfalls nahbar. Oliver wird ernst, wenn er erklärt, worauf es wirklich ankommt. Es ist harte Arbeit, man muss alles durchrechnen und nur Dinge verkaufen, die auch tatsächlich gekauft werden: „Ich bin konservativ.“
Wahrscheinlich stimmt das haargenau. Nur sind das andere auch, die nicht ständig zu Vorträgen eingeladen werden, um zu erklären, warum sie so erfolgreich sind. Die Lösung des Rätsels ist viel zu einfach für die Wirtschaftswissenschaft. „Ich habe es so oft erklärt, aber wirklich verstanden hat das niemand“, sagt Marc, der Älteste.
Dabei ist es offensichtlich: Ein Samwer ist nie allein. Es ist zwar schwierig, alle drei gleichzeitig zu treffen, sie reisen tausend Terminen nach, jeder für sich, so scheint es, in Wirklichkeit aber bleibt auch dann eine intime Verbindung zwischen ihnen bestehen, die durch nichts unterbrochen werden kann.
Ihr Medium ist nicht das Internet, es ist die Familie. Wenn sie miteinander reden, streiten sie sehr wohl. Aber niemals gegeneinander. Es ist ein „Urvertrauen“, sagt Marc, und wenn sie in einer Frage nicht weiterkommen, fragen sie ihre Mutter, oder ihren Vater. Sie fragen sie wirklich, und mit dem heiligen Ernst von Kindern, die sich nur zu Hause sicher und geborgen fühlen. Sie müssen dann nicht genau das tun, was Mutter und Vater sagen, aber das Gespräch darüber zählt mehr als jede Marktanalyse.
Unternehmensberater und Manager haben bei ihnen nichts verloren. Nach einigem Nachdenken kann sich Marc zwar vorstellen, mit anderen Geschäftsfreunden zusammen ein Unternehmen zu leiten, „rein theoretisch“, meint er. Aber nicht Jamba!, oder alando. Denn Jamba! ist keine Firma – nein, eine Spielzeugeisenbahn. Marc lacht, der Vergleich gefällt ihm sehr gut.
Man muss nur verstehen, was eine Spielzeugeisenbahn ist. Sie ist eine Leidenschaft, etwas sehr Ernstes also, das Wichtigste im Leben eines Jungen, sie wächst immer weiter, immer gibt es etwas anzubauen, neue Loks, neue Strecken, man hat keine Zeit mehr zum Essen und möchte gar nicht mehr schlafen gehen.
So war das einst im Haus des Rechtsanwalts Samwer in Köln. Unternehmer waren unter dessen Mandanten, die manchmal auch privat zu Besuch kamen. Mit ihnen am Tisch lernten die drei Söhne eine Welt kennen, die ihnen sehr gut gefiel. „Ein Unternehmen gründen“, sagt Oliver mit leuchtenden Augen, „das war es, was wir wollten.“ Es war die Spielzeugeisenbahn, die sie nun anfingen zu bauen, eine, wie sie eben nur ihnen gelingen konnte.
Je jünger, desto besser: Wenn der ältere Marc schon exzellente Schulnoten heimbrachte, schaffte der jüngere Oliver noch ein bisschen bessere; wenn der eine nach Frankreich reiste, fuhr der nächste in die USA. Das System Samwer besitzt bis dato diese Dynamik – und ist so das Gegenteil von Karriereplanung. Nie geht’s darum, Konkurrenten in der Hierarchie auszubooten, sondern einem Bruder nachzueifern.
Die Energien, die so freigesetzt werden, sind enorm. Sie übertreffen alles, was durch die Leistungsanreize des Prestiges oder des Gehalts erreichbar ist, wie sie in lehrbuchgerecht geführten, modernen Unternehmen üblich sind. Nur kann dieses Modell des brüderlichen Wettstreits nie eine Managementmethode sein. Es ist nicht einmal eine Spielregel, denn es setzt genau das voraus, was keine Ökonomie, keine Strategie je voraussetzen dürfen: Liebe.
Zurück aus Silicon Valley
Bruderliebe in diesem Fall, und Liebe zu den Eltern. Marc versteht nicht einmal die Frage, ob er denn nicht auch mal genug hat von seinen ewigen Brüdern. Oliver meint, es gehe in den oft heftigen Debatten der drei doch immer nur darum, „es möglichst gut zu machen für alle“. In jedem anderen Fall wäre ein solcher Satz leicht durchschaubar.
Wer so was sagt, meint meist, es gehe um das Beste für ihn selbst, hier jedoch könnte es die Wahrheit sein. Zumindest muss man es für möglich halten, denn so lässt sich leichter erklären, wie es zu Jamba! kam, dem Marktführer in Europa für Klingeltöne, auf dem Sprung zur globalen Expansion, mit inzwischen gut 200 Arbeitsplätzen in Berlin – auch diese Zahl wächst stetig.
Nicht das Internet hat dieses kleine Jobwunder generiert. „Eine Airline“, sagt Oliver, hätte ihnen auch gefallen, aber dazu ist jahrelange Ausbildung und Berufserfahrung nötig. So lange wollten die Brüder nicht warten. Zu Hause hatten sie ihre Commodores gehabt. Und nun mauserte sich das akademisch graue Internet gerade zum digitalen Themenpark: Hier schien ihre größte Chance zu liegen.
Die technische Revolution interessierte sie nur am Rande. Sie wohnten wochenlang zusammen irgendwo im Silicon Valley und rechneten Geschäftsmodelle durch. Der Flohmarkt von eBay schien ihnen realistisch. Ungeniert kopierten sie zu Hause das Prinzip – und verkauften es an die Erfinder zurück. Nur war das nicht so clever, wie es schien.
Jetzt saßen sie in der Chefetage, aber das Spiel war aus. Dass sie Brüder waren, die nur mit ihrer Mutter über das Geschäft reden wollten, interessierte plötzlich keinen mehr. Also gingen sie wieder nach Hause. Ein wenig traurig ist Marc schon darüber. Dann lacht er und sagt, dass er nie wieder eine Firma verkauft, die er selbst gegründet hat.
Man verkauft seine Brüder nicht, so ist das zu verstehen. Was soll man danach noch spielen – und mit wem? Er schaut durch die Glasscheibe auf die endlose Reihe von Computern und die Leute, die daran arbeiten. „Nein“, gibt er zu, „ich verlange von ihnen nicht, dass sie mich so mögen wie meine Brüder.“ Aber eine gewisse Sympathie müsse schon da sein. „Wir sind nahbar“, sagt Oliver dazu. Sie können sich einfach nicht vorstellen, wie man sonst arbeiten könnte.
Zumindest Marc interessiert sich nicht im Geringsten für jenes Spiel, das bei den gescheiterten Startuppern am beliebtesten war. „Wieso soll Jamba! an die Börse?“, fragt er. „Wir haben genug Risiko, jeden Tag.“ Er haftet persönlich, und zur Sicherheit hat er einen Teil seines Vermögens „auf die hohe Kante gelegt“. Sparstrumpf? „Ja genau, Sparstrumpf.“ Wie bei Muttern.