: Linke will Spione ein bisschen abschaffen
Ganz auflösen? Oder nur besser kontrollieren? Monatelang stritt die Linkspartei über ihr Verhältnis zu Geheimdiensten. Jetzt hat der Vorstand einen skurrilen Kompromiss beschlossen. Und beide Seiten wollen sich auf ganzer Linie durchgesetzt haben
AUS BERLIN VEIT MEDICK
Wäre es nach Ulla Jelpke gegangen, hätte sich die Linkspartei schon vor einem halben Jahr mal so richtig grundsätzlich zu Geheimdiensten positioniert. Komplett weg mit all diesen Agenten – das war der Kern eines Antrags der Innenpolitikerin, der Ende Mai 2008 auf dem Parteitag in Cottbus zur Abstimmung stehen sollte. Doch plötzlich meldeten sich im Bundestag Fraktionskollegen wie der Rechtspolitiker Wolfgang Neskovic zu Wort, die diese Radikalforderung partout nicht mittragen wollten. Und so erhielt der Parteivorstand den Auftrag, zwischen Fundis und Realos zu vermitteln.
Dieser hat jetzt einen ulkigen Kompromiss gefunden. Kernsatz des Beschlusses ist: „Die Partei die Linke vertritt das langfristige Ziel der Abschaffung von Geheimdiensten.“ Doch finden sich darunter noch drei Punkte, deren Aufnahme Neskovic per Brief gefordert hatte. Sie formulieren so ziemlich das Gegenteil des Kernsatzes und erklären Geheimdienste für grundsätzlich legitim. Sie bräuchten nur eine „rechtsstaatliche Zähmung“ und eine „umfassende Generalrevision“. Zudem müssten Nachrichtendienste in „Politikberatungsinstitutionen“ umstrukturiert werden, deren „volle Kontrollierbarkeit gewährleistet ist“.
Klingt reichlich unvereinbar. Doch wie das so ist bei Kompromissen – beide Seiten meinen, sich auf ganzer Linie durchgesetzt zu haben. „Ein kluger Beschluss des Parteivorstands“, urteilt Neskovic. „Ich bin zufrieden“, sagt Ulla Jelpke. „Ich auch“, freut sich die stellvertretende Parteichefin Halina Wawzyniak.
Die Freude trügt ein wenig. Denn hinter den Kulissen wurde monatelang um Formulierungen gerungen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Bürgerrechte und Demokratie tagte, die Rechts- und Innenpolitiker der Länder kamen nach Berlin, Beratungsrunden wurden gegründet. Der widersprüchliche Beschluss legt offen, wie sehr sich beim Thema Geheimdienste die Fronten in der Bundestagsfraktion der Linken verhärtet haben.
Da sind zum einen die Schlapphutverächter um Jelpke, Wawzyniak oder auch Bodo Ramelow, der in Thüringen Ministerpräsident werden will. Wawzyniak ist in der DDR aufgewachsen. Sie sagt: „Es ist eine Lehre aus der Geschichte, dass sich Geheimdienste verselbstständigen.“ Das sei in einer Demokratie, in der Bürger die alleinige Macht ausüben sollten, nicht hinnehmbar. Jelpke, ein Westprodukt, sieht das ähnlich. „Geheimdienste sind nicht kontrollierbar“, sagt sie. „Und sie nehmen vor allem widerspenstige Linke ins Visier, während sie Neonazis außer Acht lassen.“
Die Geheimdienstgegner lesen den Beschluss des Parteivorstands daher nur bis zum Punkt nach dem Kernsatz. Die darauf folgenden Zeilen würden allenfalls einen „Weg zu unserem Ziel“ beschreiben, betont Parteivize Wawzyniak. „Von einem Tag auf den anderen geht das ja auch nicht. Wir sind nicht blöd.“ Kollegin Jelpke merkt allerdings an: „Mir wäre es lieb gewesen, das Wort ‚langfristig‘ noch rauszunehmen. Das wäre eine vernünftige Ansage gewesen.“
Derlei Fundamentalpositionen sind für Wolfgang Neskovic fernab der Realität. Der 60-Jährige, der kein Linke-Mitglied ist, aber so gut wie alles Rechtspolitische für die Fraktion erledigt, ist zwar Diensten gegenüber ebenfalls skeptisch. Aber statt sie abzuschaffen, will der ehemalige Bundesrichter sie transparenter machen und die parlamentarische Kontrolle reformieren. Dazu hat er einen Gesetzentwurf vorgelegt. „Geheimdienste sind Teil der wehrhaften Demokratie“, findet er. Und wenn Neskovic richtig in Fahrt ist, wirft er denjenigen Kollegen, die die Dienste abschaffen wollen, schon mal vor, verfassungs- und demokratiefeindlich zu sein. Auf den Treffen der vergangenen Monate soll das häufiger vorgekommen sein. Jelpke und Co. waren dann auf hundertachtzig.
Mit dem Beschluss ist aber auch Neskovic zufrieden. Trotz des zu Anfang formulierten Fundamentalziels. Durch das Wörtchen „langfristig“ sei eine Abschaffung ja „auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben“, unkt er. „Die Forderung nach einer gänzlichen Abschaffung der Geheimdienste, die weder politisch noch verfassungsrechtlich durchzuhalten wäre, wird so faktisch gegenstandslos.“
So wird die Partei wohl weiter munter streiten. Beschluss hin, Beschluss her.