: Farmer bringen Tee ins Licht
Nur rund sechs Prozent der 32 Millionen Kenianer haben Zugang zu Elektrizität. Weltweit einzigartig: Der kenianische Solarmarkt, der zweitgrößte Afrikas, funktioniert fast völlig ohne Subventionen
Für Margaret Kiumbe geht der Arbeitstag nicht mehr mit Einbruch der Dunkelheit zu Ende. Noch vor kurzem kam die Bäuerin in der frühen Dämmerung von den Teefeldern rund um die kenianische Stadt Meru nach Hause, um noch bei Tageslicht für die vielköpfige Familie kochen und waschen zu können. Inzwischen pflückt sie zwei Stunden länger Teeblätter von den satten grünen Stauden. Die 38-jährige zierliche Frau braucht sich bei der Arbeit um das Licht daheim nicht mehr zu sorgen: Ein Solarpaneel auf dem Dach ihres einfachen Hauses mitten im Nirgendwo hat das Leben der ganzen Familie verändert – Photovoltaik bringt jetzt Strom.
Ein vom UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) unterstütztes Projekt hilft Teefarmern in der abgelegenen Region in Zentralkenia, Licht ins Dunkel ihrer Häuser zu bringen: Mit Hilfe von Krediten können die Bauern Solarsysteme kaufen, an die durchschnittlich sechs Lampen, ein Radio und sogar ein Fernsehgerät anschließbar sind. Je nach Nutzung reicht die Sonnenenergie drei bis vier Stunden. Im sonnenreichen Kenia kann sich das System tagsüber leicht wieder aufladen.
Nur rund sechs Prozent der 32 Millionen Kenianer haben Zugang zu Elektrizität. Auf dem Land, wo 80 Prozent der Bevölkerung lebt, sind nur knapp fünf Prozent aller Haushalte ans Stromnetz angeschlossen. In abgelegenen Gebieten, in die das staatliche Netz nicht reicht, bieten alternative Energien daher eine Chance für die Kenianer, abends nicht mehr im trüben Schein von Kerosinlampen sitzen zu müssen. 150.000 Haushalte auf dem Land mit Solaranlagen brauchen das Stromnetz nicht mehr.
Bei der Teefarmer-Vereinigung in Meru genießen inzwischen 60 Familien die Vorteile der Sonnenenergie: Da Frauen wie Margaret Kiumbe die Hausarbeit nun auch spät am Abend erledigen können, verlängert sich der Arbeitstag auf dem Feld. Der Ertrag der Farm und damit das Einkommen der Bauern können steigen. „Unsere neun Schulkinder in der Familie haben jetzt mehr Zeit für ihre Hausaufgaben“, erzählt die Bäuerin. Margarets Mann Jacob fühlt sich sicherer, seit er nachts eine Lampe draußen am Haus brennen lassen kann. Die monatlichen Ausgaben für Kerosin von umgerechnet etwa elf Euro fallen weg. Nicht zuletzt können sich die Menschen durch Radio und Fernsehen über aktuelle Ereignisse auf dem Weltmarkt informieren – zum Beispiel eben auch über die Teepreise.
Die neuen Solaranlagenbesitzer zeigen sich auch mit dem Wartungsaufwand zufrieden: Alle drei bis sechs Monate steigt ein Techniker die Teehügel zu den Hütten hinauf, um das Funktionieren der Batterie zu überprüfen.
Während der Trockenzeit, wenn es wochenlang nicht regnet, muss ein Familienmitglied von Zeit zu Zeit aufs Blechdach klettern und den rotbraunen Staub von den Paneelen wischen – damit die Sonne ungehindert auf die Solarzellen scheinen kann und die Leistung des Systems nicht nachlässt.
Manchmal aber sind die Augen größer als das Paneel. Hin und wieder beschweren sich Familienväter, dass das System nach einer halben Stunde zusammenbricht. Auf Nachfrage räumen sie dann allerdings ein, dass sie zusätzlich zum Fernseher einen Videorekorder angeschlossen haben – ohne zu bedenken, dass jedes weitere Elektrogerät auch mehr Strom braucht, die verfügbare Strommenge aber von der Größe der Anlage abhängt. Als der Strombedarf des Haushalts vor der Installation berechnet wurde, war von Videos noch keine Rede. „Seitdem diese Probleme aufgetreten sind“, sagt David Otieno von Solarnet, einer Nichtregierungsorganisation zur Förderung alternativer Energieformen, „laden wir die Leute vorher zur Beratung ein. Wir erklären ihnen, welche Geräte sie mit welchem System benutzen können, und geben Empfehlungen.“
Die Wirkung des Projekts auf die Wirtschaft der Region ist nicht zu übersehen: In der nahe gelegenen Stadt Meru haben seit Beginn der UN-Initiative Filialen der führenden Solaranlagenvertreiber des Landes wie Solagen oder Chloride Exide eröffnet. Der kenianische Solarmarkt, nach Südafrika der zweitgrößte Afrikas, funktioniert fast völlig ohne staatliche Subventionen, was weltweit nach Expertenmeinung einzigartig ist.
Ein 1973 von der Regierung initiiertes Elektrifizierungsprogramm für ländliche Gebiete hat bis heute gerade 77.000 Haushalte ans Stromnetz angeschlossen. Ginge die Elektrifizierung im selben Schneckentempo weiter, würde es nach Berechnungen von Experten weitere 400 Jahre dauern, bis alle Haushalte auf dem Land mit Strom versorgt wären. Die neue Regierung unter Präsident Mwai Kibaki will frischen Wind in die Energieversorgung bringen und bis Juli neue Richtlinien zur Nutzung erneuerbarer Energien vorlegen. Denn nicht nur in Meru warten noch viele Kenianer darauf, ihre Kerosinlampen für immer auszudrehen. ANJA BENGELSTORFF