Delmenhorst: Ran ans „Tafelsilber“

Damit die Bezirksregierung den Stadthaushalt genehmigt, will Delmenhorst seine Kanalisation verkaufen, die Stadtwerke könnten folgen. „Agenda 21“-Aktive wollen das per Bürgerbegehren verhindern

taz ■ Die Stadt Delmenhorst ist schwer verschuldet: Im Haushalt klafft ein Loch von 13 Millionen Euro, rund 1.400 Euro pro Kopf. Im Vergleich mit Bremen – Pro-Kopf-Verschuldung des öffentlichen Haushalts knapp 20.000 Euro – sind das Peanuts. Aber Delmenhorst muss als niedersächsische Kommune ihren Finanzplan bei der Bezirksregierung anmelden – und da bekommt sie Schwierigkeiten. Die übergeordnete Behörde wies den Haushalt wegen des Schuldenstands zurück und machte der Stadt die Auflage, ihre Investitionen zurückzufahren.

Jetzt will die Stadt Delmenhorst daher an ihr Tafelsilber heran, der Abwasser-Bereich soll verkauft werden. Nicht jedoch an einen der umliegenden Versorgungsbetriebe, etwa die Bremer swb AG, die Delmenhorst gern wie einen Bremer Stadtteil mitversorgen würde. Stattdessen will der Rat der Stadt Delmenhorst seinen Entwässerungs-Betrieb schlicht an die Stadtwerke Delmenhorst verkaufen, eine 100-prozentige Tochterfirma der Stadt. Ein „linke Tasche, rechte Tasche“-Geschäft? Beileibe nicht. Denn über die Stadtwerke Delmenhorst hat die Bezirksregierung keine Aufsicht, die 44 Millionen Euro Restbuchwert, die die Stadt von ihren Stadtwerken kassieren würde, könnte die Stadt als echte Einnahmen verbuchen. Auch die Investitionen mit einem Volumen von 60 Millionen Euro, die in den kommenden Jahren anstehen – bei einem Gebührenaufkommen von rund acht Millionen Euro pro Jahr eine ganze Menge –, müssten, wenn die privatrechtlich strukturierte Stadtwerke-GmbH sie aufbrächte, nicht mit dem städtischen Investitionshaushalt bei der Bezirksregierung zur Genehmigung vorgelegt werden. Durchaus ein Vorteil, besteht doch die Bezirksregierung darauf, dass Delmenhorst seine Nettokreditaufnahme „auf Null“ reduziert.

„Mein Ziel ist, dass wir Schulden reduzieren“, sagt Oberbürgermeister Carsten Schwettmann (CDU). Von den Verkaufserlösen in Höhe von 44 Millionen Euro will die Stadt 26 Millionen in die Schuldentilgung stecken. Mit dem Rest sollen Projekte finanziert werden, die sich Delmenhorst sonst nicht mehr leisten könnte – etwa den lange versprochenen Tunnel unter der geplanten Autobahn, der das Gewerbegebiet an die Stadt anschließen soll, eine Sportplatzverlegung und so weiter.

Um den Kaufpreis zu bezahlen, müssten sich natürlich die Stadtwerke Delmenhorst verschulden. Aus diesem Grund macht die Delmenhorster „Agenda 21“-Bürgerinitiative gegen die Verkaufspläne der Stadt mobil. 44 Millionen Euro Schulden werden aufgenommen und nur 26 Millionen getilgt – unter dem Strich also eine Neuverschuldung in Höhe von 18 Millionen Euro, rechnet sie vor. Schließlich gehörten auch die Stadtwerke zum Vermögen der Stadt. Und umgelegt auf die 76.000 Delmenhorster ließe der Deal den realen Pro-Kopf-Schuldenstand um 225 Euro steigen.

Die Bürgerinitiative befürchtet zudem, dass der jetzt bevorstehende Verkauf an die stadteigenen Stadtwerke nur der erste Schritt einer noch weiteren Privatisierung sein werde. Schon fordern SPD-Politiker wie Ratsherr Harald Groth, 49 Prozent der Stadtwerke Delmenhorst zu verkaufen – die EWE im nahen Oldenburg würde sicher auch gern ihr Gebiet arrondieren.

Die Entwässerung gehöre zu den hoheitlichen Aufgaben einer Stadt, argumentieren die „Agenda 21“-Aktiven. „Tafelsilber verkauft man nicht ohne Not“, sagt Sprecherin Eva Sassen. Zusammen mit anderen hat ihre Initiative ein Bürgerbegehren gegen den Verkauf angemeldet. 6.000 Unterschriften sind nötig, um einen – verpflichtenden – Bürgerentscheid einzuleiten.

Auch gegen den geplanten Verkauf von Anteilen der kommunalen „Gemeinnützigen Siedlungs-Gesellschaft mbH“ (GSG) mit ihren 2.800 Wohnungen läuft ein Bürgerbegehren. kawe