: Junge Mutter mit alten Babys
Beste Zeiten vereint Doell und Worpsweder Verlag und hat überregionale Ambitionen
Berlin-Line entertainment – das hört sich kaum nach einem Bremer Verlag an. Und das ist auch glatte Absicht, erklärt Paul Jacobs, Geschäftsführer der Beste Zeiten Verlagsgesellschaft. Zwar hat die seit Ende vergangenen Jahres ihren Sitz in der Hansestadt – genau genommen in Horn Lehe. Ziel der Berlin-Line-Neugründung sei es aber, so der Diplom-Theologe weiter, überregional im Unterhaltungssegment Fuß zu fassen. Dafür wolle man „bestehende Kontakte zur Künstlerszene“ nutzen. Und einen Bremen-Bezug offenbar vermeiden.
Der, so die Befürchtung, stelle sich jedoch her, sobald die anderen Töchter der Gesellschaft beim Namen genannt werden. Denn obgleich die Beste Zeiten Gesellschaft eine junge Mutter ist, hat sie doch mehr als volljährige Babys. Das zweite Unternehmen, das sich in die Obhut der Zahnradfabrik Stelter und des Bassumer Druckers Reinhard Berlin begeben hat, ist der Worpsweder Verlag. Den Anfang hatte Anno 2000 ein anderes Traditionshaus gemacht: Der Doell Verlag, seit Jahr und Tag auf Regionalia spezialisiert. In jedem Fall lassen sich mit drei Namen schärfere Profile etablieren: Worpswede wird weiter mit hübschen Bänden zu Vogeler und anderen Künstlerdörflern präsent sein. Doell streut weiterhin Karikaturen-Kalender und andere profitable Gimmicks mit Illustrationen des Karikaturisten Volker Ernsting in Riesenauflage. „Und Berlin-Line entertainment“, so Jacobs, „ist sozusagen das Spiel- und Kinderzimmer des neuen Editionshauses.“
Wie für den Namen der Dachgesellschaft, gebildet aus den Anfängen von Be(r)-lin und Stel-ter, hat man auch für dieses Experimentierfeld den Familiennamen eines der Firmen-Inhaber aktiviert. Mit ihm will man ein Gran des abflauenden Hauptstadt-Hypes abstauben.
Eine glückliche Wahl? Zumindest heißt’s Daumen drücken, dass das neue Label nicht mit der Konkurrenz verwechselt wird. Immerhin gibt’s da ja den Berlin-Verlag, Marktführer im Kulturzeitschriften-Segment und mindestens noch die Random-House-Tochter namens „Berlin Verlag“. Die zählt immerhin Kaliber wie Péter Esterházy und Margret Atwood zu ihren Autoren.
Berlin Line hingegen will mit „schönen Büchern“ bestechen und, verspricht Jacobs, „auf Impulse von noch ganz unverbrauchten Autoren“ bauen. Vorerst aber publiziert man mit Konstantin Wecker das Gegenteil. Dessen „Dschungel Liederbuch“ setzt, wie schon sein im Vorjahr haltlos geflopptes Kindermusical selbst, auf den Verwechslungs-Effekt mit der Disney-Vorlage. Dennoch, der Theologe lügt nicht: Handwerklich ist das Buch schön: Druck, Bindung, Lettering und Satz – das freut den Kenner. Vor dem Grabbeltisch wird das den Band allerdings nicht retten – weder in Bremen noch in Berlin. Und auch nicht in München.
Benno Schirrmeister