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: Wer Kinder hat, kann endlich die Relativitätstheorie begreifen

Prima Bildungsprogramm

Wie funktioniert eigentlich ein Vulkan? Genau: Drinnen in der Erde ist es so heiß, dass feste Stoffe schmelzen. Wie aber kommen diese an die Oberfläche? Und warum nur an bestimmten Orten? Ich war mal auf der Insel Vulcano bei Sizilien, da kroch lauwarmer Schwefeldampf aus Bodenritzen, während auf der Nachbarinsel der Stromboli Lava spuckte. Das sah malerisch aus. Aber warum war der eine Vulkan zahm und der andere gefährlich?

Um das zu erklären, braucht man zweierlei: Man muss bestimmte Dinge wissen, zum Beispiel was eine Kontinentalplatte ist. Und man muss sich etwas vorstellen können, was man nicht sehen kann, zum Beispiel was im Erdinneren geschieht. Kompliziert? Ziemlich. Allerdings nicht so kompliziert, dass nicht auch ein Kind es verstehen könnte. Fragt sich nur: Müssen Kinder das wirklich schon alles wissen? Sollen sie nicht lieber spielen und sich frei entfalten? Womit wir bei den pädagogischen Kontinentalplatten wären, die derzeit aneinander reiben. Kindheit? Dazu gehöre Fantasie, Kreativität, Spiel, sagen die einen. Nein, meinen die anderen, Kinder müssen mehr gefordert und früher gefördert werden – Stichwort: Wissensgesellschaft.

Wer sich einmal mit Vulkanen beschäftigt, merkt schnell, wie Fantasie und Wissen zusammenhängen. Aber wetten, dass weder die Anhänger der Spiel- noch die der Leistungsthese genau wissen, wie so ein Vulkan funktioniert? Ich selber muss überhaupt nicht selten schon bei scheinbar einfachen Kinderfragen passen: Warum kann man einen Regenwurm teilen und eine Katze nicht? Wie kommen die Bilder in den Fernseher und warum muss man eine verbrannte Hand kühlen? Manchmal denke ich, wir Erwachsenen sind für unsere Kinder einfach zu blöd.

Man kann es aber auch positiv sehen: Wer unter seiner Halbbildung leidet, sollte unbedingt Kinder kriegen. Man kriegt sozusagen ein universales Bildungsprogramm gratis mitgeliefert. Man darf nur nicht den Ehrgeiz verlieren, klüger als seine Kinder sein zu wollen. Dann hat man sogar die Chance, die Relativitätstheorie zu begreifen. Über diesen theoretischen Hammer gibt es nun einen Roman, wobei dieser unter literarischen Gesichtspunkten allerdings durchfiele. Aber es geht sowieso nur um einige Kniffe, etwas extrem Schwieriges verstehbar zu machen. Es gibt also eine Rahmenhandlung, in der, ähnlich wie in dem Bestseller „Sofies Welt“, ein Mädchen Fragen stellt und ein gewisser Nils antwortet. Solche pädagogisierenden Verfahren sind ganz zu Unrecht in Verruf geraten. Denn in dieser Form wird auf ideale Weise simuliert, was Eltern überfordert: ein Dialog über die Formel E = mc[2](trotzdem Vorsicht: Ein Spaziergang ist das nicht).

Die besten Wissenschaftsbücher für Kinder inszenieren ein solches Gespräch, in dem Wissen und Fantasie, Theorie und Praxis einen Zweiklang bilden. Sie gehen von den Beobachtungen der Kinder aus und führen dann möglichst weit über sie hinaus. Beispielhaft hat dies die Tübinger Kinder-Uni praktiziert: Professoren erklärten einem Hörsaal voller Kinder, wie Vulkane funktionieren oder warum wir über Witze lachen. Die Reihe wird jetzt fortgesetzt und ein Buch dazu ist erschienen. Das Erfolgsmodell verzichtet auf pädagogische Finessen, sein Reiz liegt unter anderem im Wissensvorsprung der Professoren. Auch nicht uninteressant in Bezug auf unsere aktuellen Bildungsdebatten.

ANGELIKA OHLAND

Frank Vermeulen: „Der Herr Albert“. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2003, 416 Seiten, 22 €.Ulrich Janßen, Ulla Steuernagel: „Die Kinder-Uni“. DVA, Stuttgart, München 2003, 223 Seiten, 19,90 €