: Tempo, Tempo bei der Aufklärung
Mit seinen Finanznöten hat die Berliner Kulturarena Tempodrom drei Regierungskoalitionen hintereinander in Atem gehalten. Jetzt wird die Affäre erstmals für den rot-roten Senat gefährlich. Gestern nahm ein Untersuchungsausschuss die Arbeit auf
AUS BERLIN STEFAN ALBERTI
Irgendwann wird ein Anbieter von Berliner Stadtführungen auf die Idee der „Skandal-Tour“ kommen. Zu Fuß binnen Minuten von einer Panne des Stadtstaats zur nächsten. Etwa vom Alexanderplatz mit dem Milliardenschlucker der landeseigenen Bankgesellschaft Richtung Brandenburger Tor zum Holocaust-Mahnmal, an dem trotz NS-Vergangenheit die Firma Degussa mitarbeitete. Von dort ein paar Meter südlich zum Veranstaltungsort Tempodrom. Dessen Finanzierung belastet drei aufeinander folgende Koalitionen, Rot-Schwarz, Rot-Grün und jetzt Rot-Rot. Nun lässt die Staatsanwaltschaft gegen zwei SPD-Senatoren ermitteln; gestern tagte erstmals ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss.
Das Tempodrom streckt eine Art Zirkusdach aus Beton in den Himmel über dem Stadtteil Kreuzberg. 33 Millionen Euro, fast ausschließlich öffentliche Mittel, hat das Kulturprojekt bislang gekostet. 1980 hatte eine Berliner Krankenschwester mit einer Erbschaft ein Zirkuszelt gekauft und es zunächst am Potsdamer Platz, dann im Tiergarten aufgebaut. Das Zelt boomte, wurde Kult als links-alternativer Veranstaltungsort. Doch mit dem Regierungsumzug sollte das Zelt weg – Helmut Kohl mochte es angeblich nicht neben seinem Kanzleramt sehen. Die Idee eines Zelts aus Beton kam auf, protegiert vom Kreuzberger Bezirksbürgermeister und heutigen Stadtentwicklungssenator und SPD-Landeschef, Peter Strieder.
2000 starteten die Bauarbeiten, Ende 2001 war Eröffnung. Zwischendurch schien das Projekt pleite. Weiter ging es nur dank einer Rettungsaktion des damals rot-grünen Senats. Fast sieben Millionen Euro öffentlicher Gelder flossen im Oktober 2001. Bereits vor Baubeginn, zu Zeiten von Schwarz-Rot, hatte sich abgezeichnet, dass die geplanten Kosten weit überschritten würden. Doch auch nach der Einweihung fehlte Geld. 2002, schon unter Rot-Rot, schoss die landeseigene Investitionsbank weitere 1,7 Millionen nach – was nun auch die PDS in die Tempodrom-Verantwortung brachte.
Streitthema war dieser Weg der Finanzierung schon immer. Die jetzige Affäre brachte der Landesrechnungshof im Herbst ins Rollen. Er bezeichnete den 2002 gewährten Zuschuss als rechtswidrig. Die CDU-Fraktion stellte daraufhin Anzeige wegen Untreue gegen Strieder, ohnehin ihren Lieblingsfeind. Im Februar sickerte zudem durch, dass ein am Tempodrom-Bau Beteiligter die Wahlparty der Berliner SPD am 21. Oktober 2001 gesponsert hatte – zwölf Tage nach der Rettungsaktion von Rot-Grün. Sponsor und Gesponserte wiesen zwar einen Zusammenhang zurück, die SPD räumte aber ein, das Sponsoring nicht ordnungsgemäß verbucht zu haben.
Vergangenen Mittwoch erreichte die Affäre ihren vorläufigen Höhepunkt. Die Staatsanwaltschaft weitete ihre Recherchen auf Finanzsenator Thilo Sarrazin und Wirtschaftsstaatssekretär Volkmar Strauch aus (beide SPD). Im Gespräch sind weitere Ermittlungen, etwa gegen Strauchs Chef, PDS-Wirtschaftssenator Harald Wolf oder gegen die bis Mitte 2001 von der CDU gestellten Senatoren für Finanzen und Wirtschaft.
Die PDS macht inzwischen wegen des umstrittenen Sponsorings Druck auf den Koalitionspartner. „Wird die Verbindung zwischen den Zuwendungen an die SPD und dem Senatsbeschluss zum Tempodrom belegt, wäre die Koalition in Gefahr“, sagt PDS-Landeschef Liebich. Daran glaubt aber derzeit in Berlin kaum jemand. Die PDS, die bei der Wahl 2001 noch über 22 Prozent holte, krebst nach jüngsten Umfragen bei 9 Prozent herum, die SPD ist von fast 30 auf 22 Prozent abgerutscht. Neuwahlen sind das Letzte, was beide Parteien derzeit gebrauchen können.