: „Auf die Dinosaurier verlassen“
Wirtschaftsforscher Jan Nill zur Mautposse: „Deutschland tut sich schwer mit Innovationen. Ob die Großen die Innovativsten sind, ist fraglich“
taz: Der Kanzler hat das Zurück zur Lkw-Vignette und zur technischen Steinzeit verhindert. Ist der Innovationsstandort Deutschland gerettet?
Jan Nill: Das wird sich erst noch zeigen. Nur 20 Prozent aller Innovationen sind erfolgreich. Und Deutschland tut sich mit ihnen traditionell eher schwer.
Muss es denn dann tatsächlich so ein Cyber-Mautsystem sein? Warum nicht auf ein bewährtes System zurückgreifen?
Weil die Regierung nicht nur schnell mal Gebühren erheben will. Es ging ihr von vornherein um eine längerfristige innovations- und industriepolitische Perspektive.
Wirtschaftspolitk zu Lasten einer vernünfitgen Verkehrspolitik?
Kurzfristig ja, langfristig nein. Denn eines Tages könnte über das satellitengestütze System auch eine City-Maut ohne Problem abgerechnet werden.
So manchen beschleicht dennoch der Eindruck, die rot-grüne Koalition will nur die Deutsche Wirtschaft aufpäppeln.
Sicher war das mit im Spiel. Es sollte ein Pilotmarkt für ein System geschaffen werden, dass man später exportieren kann. Dabei hat sich die Regierung auf die Großen, die Dinosaurier, verlassen – und sie tut es weiter, wenn Siemens jetzt als Dritter in das Konsortium einsteigt. Ob sie die Innovativsten sind, das ist fraglich.
Der Staat macht als Großaktionär der Telekom doch einfach mit sich selbst Geschäfte. Überzeugt Sie eine solche Innovationspolitik?
Interessenkonflikte sind da nicht ausgeschlossen. Prinzipiell macht es aber Sinn, ein Unternehmen das sich mit neuer Telekommunikation auskennt, zu nehmen. Das heißt nicht, dass die Telekom das Beste ist.
Wer sonst?
Es ist der Sinn von Ausschreibungen, genau das zu zeigen. Unternehmen gehen in einen Wettbewerb, dann wird festgestellt, wer am geeignetsten ist. Im Falle der Maut ist da sicher nicht alles optimal gelaufen.
Wird das Ausland jetzt wieder mehr Vertrauen in die deutsche Wirtschaft und „made in Germany“ setzen?
Die Zukunft Deutschlands hängt nicht an Toll Collect. Es ist nur ein Beispiel dafür, welche Schwierigkeiten in der Republik bestehen, wenn es um Innovationen geht.
Woran hapert es?
Deutschland ist Opfer des eigenen Erfolgs. Es war in den klassischen Branchen Auto, Chemie, Maschinenbau erfolgreich und wuchs dann enorm. Große Unternehmen sind oft aber nicht offen für neue Technologien und Märkte.
Warum ist Toll Collect eigentlich gescheitert?
Innovationen funktionieren nach dem Learning-by-Doing-Prinzip. Für die Maut gab es aber keinen einzigen Feldversuch. Das Projektmanagement funktionierte offenbar nicht.
Jetzt wechselt die Besetzung im Mauttheater. Wird also alles besser?
Ein Projektmanagement, das der Politik monatelang suggeriert hat, die Technologieentwicklung für die Einführung der Maut sei kein Problem, gehört abgeschafft. Mehr ist noch nicht klar.
INTERVIEW: HANNA GERSMANN