: Eine Welt ohne Menschen
Bilder ohne Schwellenangst: Die Fotografin Candida Höfer vertritt Deutschland auf der im Juni beginnenden Biennale in Venedig. Punktgenau kommt nun ihre erste Monografie auf den Markt
von BRIGITTE WERNEBURG
Seit 20 Jahren geht sie in große Bibliotheken, Museen, Opernhäuser oder auch Zoos, um dort die repräsentativen Treppenaufgänge, Lobbys, Lese- und Ausstellungssäle zu fotografieren, aber auch die sonst unbeachteten Nebenschauplätze wie Flure, Garderoben und Catering. Candida Höfer fotografiert serienweise Innenräume. Weithin bekannt wurde sie allerdings mit einem Auftrag, der sie zwang, nach draußen zu gehen. Das Musée Rodin in Paris gewann sie, die inzwischen zwölf vorhandenen Bronzegüsse von Auguste Rodins „Bürger von Calais“ in aller Welt, von Kopenhagen über London bis nach Seoul, in ihrem jeweiligen räumlichen, historischen und kulturellen Kontext zu dokumentieren. Ihr Zyklus „Zwölf“ führte letztes Jahr zu Höfers erster Documenta-Einladung.
Jetzt, ein Jahr später, vertritt die 58-jährige Künstlerin, die wie Andreas Gursky, Thomas Ruff und Thomas Struth in Düsseldorf bei den Bechers studierte, Deutschland auf der im Juni beginnenden Biennale von Venedig. Und spät, aber dank der Entscheidung des Kommissars des Deutschen Pavillons, Julian Heynen, letztlich punktgenau kommt ihre erste Monografie auf den Markt. Freilich, der Band ist ein Querschnitt, keineswegs die überfällige Monografie, die die erhoffte kunsthistorische Untersuchung ihres Werks lieferte. Da aber Höfers Serien weder thematisch geschlossen noch strikt typologischer Natur sind, ist es zu verschmerzen, dass die Übersicht nicht hält, was der Titel verspricht.
Höfer zielt auf offene Motivfolgen, innerhalb derer das einzelne Bild seinen autonomen Status beibehält. Das macht die Anlage des Schirmer/Mosel-Bandes vertretbar. Ihre dokumentarischen Bildreihen kennen keine inszenierten Arrangements und keine digitale Bildbearbeitung. Höfer fotografiert mit Kleinbild- und Mittelformatkamera bei vorhandenem Licht, selten sind die Motive mit Stativ aufgenommen, leichte Unschärfen in ihren Abzügen, die sich lange Zeit durch moderate Maße auszeichneten, sind akzeptiert. Inzwischen allerdings ist auch Candida Höfer bei den richtig großen Großformaten angelangt.
Bei ihren Ansichten handelt es sich stets um institutionelle Interieurs, angesiedelt an der Grenze von Innen- und Außenraum. Schwellenangst ist denn auch der Begriff, der stets im Zusammenhang mit Museen, Bibliotheken, aber auch großen Restaurants fällt und belegt, dass Unsicherheit existiert, was den Status dieser Räume betrifft. Der Öffentlichkeitscharakter der institutionellen Innenräume ist gegenüber der Straße sehr viel geringer, ihre funktionale Bestimmtheit dafür umso größer. Es wird zum Problem der Besucher, ob sie der funktionalen Bestimmtheit genügen, die in der Einrichtung der Räume zum Ausdruck kommt.
„Wenn man sich die stillen Bilder Candida Höfers lange genug anschaut, kann man sich – ganz ohne Frivolität – eine Welt ohne Menschen vorstellen“: Die auffällige Abwesenheit der Menschen in Candida Höfers Interieurs, die Michael Krüger gleich in diesem ersten Satz seiner Höfer-Laudatio bedenkt, scheint diese Schwellenangst zu thematisieren. Denn selbst der Dichter und Chef des Hanser-Verlags imaginiert immer wieder Menschen, die Höfers Räume aufsuchen. Die latente menschliche Präsenz in ihren Bildern ist unausrottbar, und diese Anwesenheit behandeln ihre Aufnahmen mehr als die gebaute Architektur. Höfers Interieurs scheinen daher nur schwer als Andachtsbilder begreifbar zu sein, wie Krüger meint. Sie neigen eher zur Blasphemie. Ein geglücktes Leben im Interieur kann augenscheinlich keiner von Candida Höfers Räumen bezeugen.
Und so bestätigt die Fotografin in ihrer 20-jährigen Arbeit Anselm Haverkamp, wenn der Literaturwissenschaftler im Zusammenhang mit André Kertezs’ berühmten Innenaufnahmen für Home and Garden schreibt: Das Interieur ist nichts, wovon wir uns das richtige Bild längst machten. Genau deshalb aber faszinieren Candida Höfers Interieurs. Sie rücken unser unzulängliches Bild wenigstens in den notwendigen, treffenden Momenten zurecht.
„Candida Höfer, Monographie“. Text von Michael Krüger. Schirmer/Mosel, München 2003, 252 Seiten, 234 Farbtafeln, 78 €