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Archiv-Artikel

Von Kopf bis Fuß auf Hiebe eingestellt

Von Bruderzwist und Blauen Engeln: In der Weimarer Republik war die berühmte Schriftstellerfamilie Mann ein beliebtes Ziel des Karikaturistenspotts. Die Landesvertretung Schleswig-Holsteins zeigt eine Ausstellung dieser Karikaturen, in denen sich ein bezeichnendes Stück deutscher Geschichte spiegelt

Die Zeichnungen verraten viel über die Tagespolitik zur Zeit ihrer Entstehung

VON JAN SÜSELBECK

Da sitzen Thomas Mann und Theodor Däubler an einem langen Konferenztisch. Sie spielen Karten. Die Dichter sind so sehr in ihr Spiel versunken, dass Theodor Däubler, ein Mann mit mächtigem Rauschebart, die Augen fest geschlossen hält. Oder ist er schon eingeschlafen? Am Ende des Tischs verbeugen sich Heinrich Mann und Alfred Döblin ergeben vor der Trivialschriftstellerin Hedwig Courths-Mahler, um ihr freundlich einen Stuhl anzubieten. Sie trägt eine Kaffekanne und lächelt voller Zufriedenheit.

So hat der Zeichner Oskar Garvens, seit 1924 ständiger politischer Karikaturist des Satiremagazins Kladderadatsch, die „Vakanzen“ in der Sektion Dichtung der Preußischen Akademie der Künste im Jahr 1931 dargestellt. Darunter hat er geschrieben: „Die republikanische Dichterakademie begrüßt in Hedwig Courths-Mahler endlich eine wahrhaft populäre Erscheinung, die große Teile des Volkes hinter sich hat.“

Was heute zum Lachen reizt, weil es so sympathisch wirkt: Dass da zwei so unterschiedliche Dioskuren der Literaturgeschichte, Mann und Däubler, einträchtig am Tisch sitzen, den Rest der Welt stoisch ignorieren und sich mit dem Kartenspiel die Zeit vertreiben, fand man 1931 schon lange gar nicht mehr so komisch. Garvens’ Karikatur hatte eine rechtspolitische Stoßrichtung: Obwohl die Dichterakademie größtenteils konservative Schriftsteller versammelte, versuchte man seit 1927, sie zum bloßen Repräsentationsverein einer „vom Volk als spezifisch deutsch empfundenen Kunst“ umzukrempeln.

Wenige Jahre später, im März 1933, waren bereits alle auf Garvens’ Karikatur dargestellten Dichter aus der mit dem Nationalsozialismus gleichgeschalteten Akademie herausgeworfen worden oder waren von ihrer Mitgliedschaft zurückgetreten. Ihre nun tatsächlich „vakant“ gewordenen Plätze wurden von völkischen Schriftstellern wie Hans Friedrich Blunck, Hans Grimm und Gustav Frenssen eingenommen.

Die in der Landesvertretung Schleswig-Holsteins eröffnete Ausstellung von Karikaturen Thomas und Heinrich Manns ist eng mit den dunklen Seiten der deutschen Geschichte verwoben. Ohne ein zumindest rudimentäres Wissen um die tagespolitischen Ereignisse zu den Entstehungszeiten der einzelnen Bilder kann die Dimension dessen, was hier an Historie schlaglichtartig lebendig wird, überhaupt nicht mehr angemessen eingeordnet werden.

Die Manns waren schon früh beliebte Objekte der Karikaturisten. Die Auswahl der in der Ausstellung dokumentierten Motive zieht eine chronologische Linie von 1904 bis 2002. Die verschiedenen Porträts geben auch extreme biografische Wandlungsprozesse bei den Schriftstellern selbst wieder. Der Bruderzwist zwischen Heinrich und Thomas Mann etwa war ein beliebtes Thema. Während Heinrich Mann als einer der wenigen intellektuellen Stimmen den Ersten Weltkrieg ablehnte, begrüßte ihn Thomas Mann als rechtmäßigen „Kulturkrieg“ zur Verteidigung der deutschen Staats- und Gesellschaftsform.

Später, nach dem Zweiten Weltkrieg, sahen die Alliierten den geläuterten Emigranten Thomas Mann als die prototypische Verkörperung des „anderen“, also nicht militaristischen, sondern intellektuell-humanen Deutschland und als natürlichen Verbündeten im geistigen Kampf gegen das Erbe des Nationalsozialismus.

Mit der Zeit verändern die historischen Karikaturen ihre Wirkung auf den Betrachter. Oder auch nicht: Als der Direktor der Kulturstiftung der Hansestadt Lübeck, Hans Wisskirchen, während der Eröffnungsveranstaltung einige der Bilder aus der Ausstellung einführend kommentierte, lachte ein Zuhörer angesichts einer Karikatur Heinrich Manns laut auf. Das am 4. Januar 1933 erschienene Titelbild der nationalsozialistisch ausgerichteten Zeitschrift Die Brennessel zeigt Mann in der Pose Marlene Dietrichs auf dem Plakat zum Josef-von-Sternberg-Film „Der blaue Engel“ (1930): auf einer Tonne sitzend, die langen Beine in schwarzen Strapsen steckend.

Schnell blieb dem Zuhörer das spontane Lachen im Halse stecken, als er erfuhr, dass unter dem Bild ein Zitat aus dem Titelsong des Films eine leichte Veränderung erfahren hatte. „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Juda eingestellt“ steht da, und darüber findet sich ein rot angestrichener Zeitungsausschnitt mit der Meldung, Heinrich Mann habe bei der Eröffnung der neuen Berliner Synagoge die Einweihungsrede gehalten. Wie lustig.

Am Publikum des Abends ließ sich beobachten, wie sehr sich der Umgang mit deutscher Geschichte in weitgehende Gleichgültigkeit gewandelt hat. Zur Eröffnung in den Ministergärten gab es geräucherte Schweinebacke mit Grünkohl. Und mit dem Panoramablick auf das entstehende Mahnmal für die ermordeten Juden Europas ließen sich die Besucher ein gepflegtes Flens einschenken. Weder die Karikaturen noch das bezeichnende architektonische Setting der Feier schien irgendwen großartig zum Nachdenken anzuregen beziehungsweise ernsthaft zu interessieren. Man ließ es sich einfach munden.

„Mannomann. Thomas und Heinrich Mann im Spiegel der Karikatur“. Ausstellung in der Vertetung des Landes Schleswig-Holstein. In den Ministergärten 8, 10117 Berlin. Geöffnet bis 7. März 2001, täglich 10–18 Uhr