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Archiv-Artikel

Jukebox

Smooth operator: Hören auf den Zehenspitzen

Vorgestern kam der Austauschschüler an, gestern Abend lief „Feels Like Home“, heute wissen wir, dass auch französische Mütter dieser Tage am liebsten Norah Jones hören. Die ist, man muss das wohl ein wenig mitleidslos formulieren, weniger Musikerin (obwohl sie das natürlich auch ist, eine sehr gute sogar) als vielmehr wandelnder Konsens. Ob Zahnarztgattin oder Heilpraktikerin, Rechtsanwalt oder Kindergärtner, links oder rechts des Rheins: Man ist sich einig und kauft „Feels Like Home“, weil die Musik (die tatsächlich ziemlich gut ist) einen gewissen Distinktionsgewinn verspricht und doch niemanden wehtut und hält, was der Albumtitel verspricht: Man fühlt sich zu Hause, wo es nett ist und freundlich.

Es gibt immer eine Norah Jones. Vor exakt zehn Jahren waren es Portishead. „Dummy“ war erschienen und beschallte brav alle ganz persönlichen Lounges. Der Soundtrack zum Cocooning war elektronisch unterfüttert und so noch eben cool, ließ sich aber vor allem parallel zum Rotweinschlürfen ganz prima weghören.

Wiederum zehn Jahre früher, im Jahre 1984, war mit Sade der Prototyp des Prinzips Norah Jones auf der Bildfläche erschienen: Erstmals sollte Popmusik nicht aufregend und aufwühlend und jugendlich sein. Erstmals gab es Popmusik für Erwachsene. So kombinierte die Musik von Sade die Wirkung von Valium mit der eines leichten Antidepressivums. Das war schön, darauf konnte man sich einigen, weltweit und geschlechterübergreifend. Vor allem aber konnte man zu Sade ganz prima andere Sachen machen als Musik hören: Sex haben, ein gutes Gespräch führen, mal endlich wieder ein Buch lesen. Und das Allerbeste: dazu tanzen und dabei einen Cocktail halten, ohne den zu verschütten. Das ging nur zu Sade. Auch eine historische Leistung.

THOMAS WINKLER