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Archiv-Artikel

Die Sehnsucht nach der Alpha-Frau

Ein wenig bekannter Finanzexperte und Familienvater wird nominiert, eine qualifizierte Frau, kinderlos, unverheiratet, hingegen nicht – dabei hätte diese Frau als Bundespräsidentin die politische Ikonografie in Deutschland verändert und erneuert

VON BARBARA DRIBBUSCH

Es gibt zwei Versionen, die man über die Nominierung des Bundespräsidenten und den Umgang mit der möglichen Kandidatin Annette Schavan erzählen kann. Fairerweise muss man beide berichten.

Die erste Version geht so: Nein, es spiele keine Rolle, dass Annette Schavan eine Frau ist, noch dazu eine kinderlose Single-Frau, und deswegen nicht geeignet für das Amt des Bundespräsidenten. Die zweite Version sagt, dass genau das ein gewichtiger Grund war, der profilierten Bildungspolitikerin den weitgehend unbekannten Horst Köhler vorzuziehen, den Chef des Internationalen Währungsfonds. Tatsache bleibt: Eine Nominierung Schavans hätte die politische Ikonografie in Deutschland verändert – und erneuert. Offenbar ist es für eine solche Erneuerung aber noch zu früh.

Mit Köhler wurde ein Kandidat nominiert, der sich dadurch auszeichnet, ein besonders langweiliges Image zu hüten: Familienvater, Finanzexperte ohne eine konfliktreiche politische Vergangenheit. Ein Minus-Mann, könnte man böswillig sagen. Eine Kandidatin Schavan wäre das genaue Gegenteil gewesen: Eine Frau, die sich durch ihre Befürwortung des Kopftuchverbots in die gesellschaftliche Konfrontation hineingewagt hat, die erfolgreich auch ohne Mann an der Seite durchs Leben geht und dabei auch noch Katholikin ist. Schavan wäre die bei weitem interessantere Besetzung gewesen. Sie hätte die Politik spannender gemacht – auch und gerade weil man diese Figur nicht unbedingt hätte mögen müssen.

Eine Bundespräsidentin Schavan hätte die politische Erzählung in Deutschland bereichert und dramatisiert, neben der CDU-Chefin und möglichen Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Eine solche Erweiterung ist dringend nötig. Denn man darf die Behauptung wagen, dass sich breite Teile des Publikums inzwischen nicht mehr so recht angesprochen fühlen durch den Tratsch über die Beziehungen zwischen Schröder, Fischer, Müntefering und Co, diese Dichtungen über Männerfreundschaft, und -feindschaft. Manche Frauen, man muss es mal schreiben dürfen, interessieren sich für diese politische Essayistik ungefähr so stark wie Männer für Wechseljahre-Literatur.

Dass die politischen Dramen zudem noch von einem ziemlich unklaren Machtbegriff durchzogen sind, macht die Sache nicht einfacher. Es ist schon bemerkenswert, dass der beliebteste Politiker in Deutschland, „Alphatier“ Joschka Fischer, als Außenminister eigentlich eine vom Klischee her sehr „weibliche“ Form der Machtsimulation ausübt: Er steht auf Fotos neben Staatsmännern, die prominenter sind als er, und wird dadurch aufgewertet. Er gibt Plattitüden von sich. Er trifft kaum Entscheidungen, die wirklich Auswirkungen haben auf die Lebenswirklichkeit der Leute. Die alltagsrelevanten Entscheidungen trifft, wenn überhaupt, derzeit Renten- und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Wie jede gute wirkliche Führungskraft dient sie als Projektionsfläche für die Wut der Untergebenen, in diesem Fall der WählerInnen, die sich über Praxisgebühren und Rentenkürzungen empören. Schmidt ist das weibliche „Schmutzschild“ des Kanzlers.

Die Macht ist also nicht immer da, wo man sie vermutet. Doch darauf kommt es auch nicht an. Was zählt in einer Mediengesellschaft, ist der Wert eines Politikers als Projektionsfigur, als Rollenmodell. Das Geheimnis dieses Charismas liegt in der Überwindung von Hindernissen, dem Sieg über Widersprüche. Bei Fischer war es die Integration seiner Vergangenheit als Steinewerfer mit seiner Gegenwart als Staatsmann, die ihm zu seiner Popularität verhalf.

Über negative Ressentiments triumphieren und damit die Bewunderung des Publikums gewinnen – nur so könnte auch eine Alpha-Frau in der Politik reüssieren. Schavan hätte sich dem Ressentiment gegenüber einer unverheirateten, kinderlosen Frau stellen müssen, der man gerne wahlweise Familienferne oder Männerfeindlichkeit, jedenfalls irgendwas Verbittertes zuschreibt. Eine nicht kleine Anzahl von Journalisten beschäftigte sich gestern mit der Frage, ob die Frau lesbisch sei und eine Lebensgefährtin habe.

Eins hätte Schavan also geschafft: die Fantasien zu beschäftigen, Ambivalenzen zu wecken so wie weiland Joschka Fischer. Interessanterweise galt Annette Schavan mit ihren 48 Jahren übrigens als „zu jung“ für das Amt des Bundespräsidenten. Solche Maßstäbe haben doch auch etwas Erfreuliches.

Aus dem Traum einer ersten weiblichen Bundespräsidentin wird nun nichts. Und CDU-Chefin Angela Merkel bleibt das einzige aktuelle Beispiel dafür, wie eine Spitzenpolitikerin mit Ressentiments umgehen kann. Auch wer die Figur Merkel nicht mag, muss zugegeben, dass sie in dieser Hinsicht zugelegt hat: Sie wirkt inzwischen wie eine Politikerin, die die üblichen Gehässigkeiten zu den Themen Frisur, Figur oder Kostüme souverän überstanden hat und die aus dem Machtzuwachs zunehmend Lustgewinn zieht. Das ist etwas Sensationelles in einer Gesellschaft, in der Mädchen immer noch vermittelt wird, dass eine gewisse Gefälligkeit über den Selbstwert entscheidet. Dabei lehrt die berufliche Wirklichkeit etwas anderes: Ohne einen Touch von Domina geht es nicht. Wer aufsteigen will, muss zwar zu Beginn Unterwerfungssignale gegenüber den Stärkeren senden, doch dann alsbald auf Überlegenheitsgebaren umsteigen.

Der Bedarf an politischen Heldinnen ist also groß, gerade in Deutschland – mit dem Beschwören einer „Frauensolidarität“ hat das allerdings nichts zu tun. Im Gegenteil: Gerade eine Alpha-Frau kann sich böswilliger Unterstellungen von Teilen des weiblichen Publikums sicher sein. Das lehrt die Erfahrung mit Managerinnen in der Wirtschaft, die gerade mit ihren weiblichen Untergebenen oft größere Probleme haben, weil es unter Frauen eben noch so wenig Codes für Machtkämpfe gibt.

Alpha-Frauen erweitern und entwickeln die politische Erzählung. Dass nun ausgerechnet die konservative CDU diesen Modernisierungsschub durch die Nominierung einer Bundespräsidentin nicht wagte, hat immerhin sein Gutes: sonst hätten die Konservativen nämlich progressiver ausgesehen, als sie sind. Am Ende aller HeldInnengeschichten steht jedoch immer noch die eigentliche, die politische, die inhaltliche Wahl. Und man muss auch irgendwann mal eine CDU-Kanzlerkandidatin nicht wählen dürfen, wegen ihres Programms, und sich als Wählerin dann doch anderen Parteien zuwenden, nicht wegen, sondern trotz deren Kandidaten. Obwohl. Schade ist es schon.