off-kino Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Es war einer der großen Wendepunkte in der Geschichte des Films: Nachdem Al Jolson seiner Film-Mutti in Alan Croslands „The Jazz Singer“ (1927) einen Song am Klavier vorgetragen hatte und man seinen Gesang, sein Pianospiel und einen kleinen Dialog dabei nahezu „naturgetreu“ hören konnte, schien die Kinowelt Kopf zu stehen. Experimente mit dem Ton hatte es zwar bereits seit langem gegeben, Filme mit Geräuschen ebenso – doch es war die menschliche Stimme, die hier eine Suggestivkraft entwickelte, der sich niemand entziehen konnte. Der von Warner Bros. produzierte, teilvertonte „Jazz Singer“ wurde zum Publikumshit, und die guten Kasseneinnahmen erwiesen sich als schlagendes Argument für andere Produktionsgesellschaften ihre Studios ebenfalls auf Ton umzurüsten. Bereits fertig gestellte Stummfilme wurden noch einmal als Tonfilme neu begonnen oder nachvertont, einige Filme blieben dabei auch ganz auf der Strecke.

Eine größere Umwälzung der Produktionsbedingungen hat es im Kino nie mehr gegeben: Manche Karrieren endeten schlagartig (wenngleich es entgegen der Legende nur sehr selten darum ging, dass die Stummfilmschauspieler nicht „sprechen“ konnten – sie besaßen oft nur nicht jene Stimme, die sich das Publikum immer vorgestellt hatte), neue Berufe wie der des Dialogregisseurs entstanden, und die Drehbuchautoren mussten sich beim Schreiben umstellen (mehr Dialoge). Dass man sich nun vielfach das Theater zum Vorbild nahm, ließ die Filme allerdings oft statisch erscheinen, und auch die anfangs noch sehr sperrige Tonfilmtechnik trug nicht gerade zur Leichtigkeit der frühen Tonfilme bei. Zudem trat der Erfolg des „Jazz Singer“ eine ganze Lawine von „Kunstwerken“ mit musikalischen Einlagen los: In nahezu jedem Genre und in den unmöglichsten Plots wurden nun mehr oder weniger gekonnt die Stimmbänder strapaziert – und die Nerven der Zuschauer gleich mit. Bereits 1930 war das amerikanische Kinopublikum Musikfilme mehr als leid, und es sollte noch zwei, drei Jahre dauern, bis man die eher primitive Anfangsphase überwunden hatte.

Und der Film, der die Kinoindustrie aus den Angeln gehoben hatte? Ein Melodram um den Sohn eines jüdischen Kantors, der Karriere im Unterhaltungssektor macht, was die Mutti freut und den strengen Vater verärgert – sehr solide, etwas kitschig und für wenige Momente enorm elektrisierend.

„The Jazz Singer“ (OF) 14. 5 im Arsenal 2

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Passend dazu zeigt das Arsenal-Kino als Programm zur Eröffnung der Ausstellung „Oscars in Animation“ im Filmmuseum das kleine Zeichentrickwerk „Steamboat Willie“ (1928), den dritten Film mit der seinerzeit noch ziemlich frechen und dreisten Mickey Mouse, der zugleich auch der erste Cartoon mit durchgehender Tonspur war. Musik spielt hier natürlich eine wichtige Rolle: In der Schlusssequenz geben Mickey und Minnie ein Konzert, bei dem sie sich – übrigens recht grausam und tierquälerisch – der Körper von auf dem Dampfschiff mitreisenden Tieren als Instrumente bedienen. Walt Disney lieh seinem Helden höchstpersönlich die Piepsstimme und führte gemeinsam mit Ub Iwerks auch Regie.

„Steamboat Willie“ 14. 5. im Arsenal 1

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Eine hübsche Idee: Da entwickeln zwei junge Mädchen ein wenig zu viel Fantasie und halten die neue Aushilfs-Babysitterin Gerda für eine Hexe, die es auf den kleinen Bruder abgesehen hat. Die Versuche der beiden Kinder, die ältere, aber noch ganz flotte Dame mit allen möglichen und unmöglichen Mitteln zu entlarven, hat Regisseur Harald Hamrell in „Eine Hexe in unserer Familie“ recht vergnüglich inszeniert – lediglich Gerdas hexenhaftes Getue zwischen brodelndem Kochtopf und Burgruine gerät dem schwedischen Kinderfilm ein wenig zu pompös. Und ob die Mädchen wirklich nur zu viel Fantasie besitzen, ist schließlich auch nicht mehr so ganz klar …

„Eine Hexe in unserer Familie“ 8. 5.–11. 5., 14. 5. im Eiszeit 1

LARS PENNING