: Realpolitischer Weltverbesserer
Worte wie aus der IKEA-Werbung, Karriere ohne Brüche, Idealismus im Multi-Kulti-Flair: GALier Manuel Sarrazin nimmt am 17. März als jüngster Hamburger Bürgerschaftsabgeordneter im Rathaus Platz – mit 22 Jahren, einem Monat und elf Tagen
von anne schemann
Jung und erwachsen, karrierebewusst und idealistisch – es sind die Zwischentöne und Widersprüche, die den jüngsten Abgeordneten der Hamburger Bürgerschaft kennzeichnen. Wie eine kühl geplante Karriere liest sich die Vita des Manuel Sarrazin: lang, zielstrebig, erfolgreich. Mit 17 Jahren Eintritt bei den Grünen, Engagement in der Hamburger SchülerInnenkammer, Mitbegründer der Jugendinitiative Politik, Vorstandssprecher des Kreisverbandes Harburg – und jetzt, kurz nach seinem 22. Geburtstag, das Bürgerschaftsmandat. Bruchlos.
Mit dem Verdacht, ein Karrierist zu sein, musste er sich mehr als einmal auseinandersetzen. Aber wenn er über Politik, die Grünen und die Welt redet, kommen hinter diesem glatten Lebenslauf Herzblut und Idealismus zum Vorschein. „Wenn ich sehe, dass ich was bewegen kann, dann muss ich das einfach machen“, sucht Manuel Sarrazin selbst nach einer Erklärung für sein politisches Engagement. Das damit begann, dass er als Jugendlicher bei Greenpeace flammende Briefe gegen den Walfang schrieb.
Auch wenn er heute längst für andere Ziele streitet, ist der Geschichtsstudent der Wahl seiner Mittel treu geblieben. Sarrazin ist keiner, der in Megaphone brüllen, sich an Gleise ketten oder Polizisten mit Steinen bewerfen würde. Er ist eher ein Theoretiker, der die ausgefeilte Rede liebt und sich gern auf alles penibel vorbereitet. Davon zeugen die Texte auf seiner Homepage, davon zeugt auch seine Antipathie gegen Demonstrationen: „Da sträuben sich mir manchmal die Nackenhaare, weil die Slogans so vereinfachend sind.“
Vielleicht wäre manch ein linker Demonstrant auch überrascht, würde Sarrazin neben ihm marschieren. Dem Äußeren nach zu urteilen, könnte der Junggrüne genausogut in der CDU oder FDP sein. Berührungsängste mit den konservativen Politkollegen kennt er nicht, in Harburg hat er beispielsweise ein „Schwarz-grünes Jugendtreffen“ organisiert – zusammen mit der Jungen Union.
Trotzdem ist Sarrazin sicher, in der richtigen Partei zu sein: „Ich mag an den Grünen, dass sie den Weltverbesserungsgedanken in sich tragen.“ Sein revolutionärer Geist aber ist realpolitisch: „Wenn ich was verändern will, gehe ich erst mal einen Schritt zurück und sehe, was machbar ist.“ Es sind vielleicht solche Sätze, die ihn manchmal wirken lassen, als habe er schon einige Jahre im politischen Geschäft auf dem Buckel. Dabei möchte er gar nicht „Politiker“ genannt werden – das könnte abgehoben klingen. „Junger, engagierter Mensch?“, schlägt er vor, und dabei guckt er ein bisschen unsicher.
Denn bei allem belesenen Selbstbewusstsein ist es Sarrazin wichtig, was Altersgenossen von ihm denken. Er hat sich ja vorgenommen, „besonderer Ansprechpartner“ für sie zu sein. Ein bisschen Sorge bereitet ihm allerdings, dass seine „Sprache zu kompliziert“ sein könnte. Worte wie „Frustrationstoleranz“ kommen ihm mühelos über die Lippen, auf seiner Website schreibt er von „programmatischen Leuchttürmen“. Und in einem Radiointerview, so erzählt er belustigt, „hat mich der Moderator ganz komisch angeguckt, weil ich ‚Jugendpartizipation‘ gesagt habe.“
Trotz solch sprachlicher Hürden ist Sarrazin überzeugt, dass er Jugendliche mitreißen kann. Vielleicht, indem er ihre Interessen vertritt, für ein kommunales Wahlrecht ab 16 und gegen Gewalt in der Schule kämpft. Vielleicht, indem er sich Website-Namen sichert wie www.chill-partei.de oder www.nostoiber.de – die alle auf seine Homepage führen. Und vielleicht, indem er notfalls bei Schulvorträgen ein Wort wie „Heftomaten“ einfließen lässt. Das soviel bedeute wie „heftige“, also tolle, Leute und zum Harburger Slang gehöre.
Obwohl er in Dortmund geboren ist und erst mit 14 nach Harburg kam, legt er viel Wert auf das, was er seine „Harburger Mentalität“ nennt: „Ich wohne da nicht nur, ich lebe da.“ Ein Satz wie ein Ikea-Werbespruch, doch seine Augen leuchten, wenn er über die „bodenständigen, ehrlichen Leute“ dort spricht. Über das „tolle Rathaus“ und „das Multi-Kulti-Flair“. Und überhaupt ist ihm „eine stinkende Eckkneipe lieber als ein Buffet von der Handelskammer“. Selbst als Sarrazin keinen Studienplatz in Hamburg bekam, blieb er seinem Traum-Wohnort treu – und pendelt zur Uni nach Bremen. Harburg und der FC St. Pauli sind vielleicht die Dinge, die der Junggrüne am meisten liebt, außer natürlich seine Freundin in Warschau, die er einmal im Monat besucht.
Und dabei Polen auch gleich als politisches Thema entdeckt hat. Für das Europawahl-Programm der Grünen „habe ich schon mal ein paar Eingaben zur Ostpolitik gemacht“, berichtet er stolz. An Selbstbewusstsein mangelt es dem GALier ohnehin nicht. In seinem Homepage-Profil schreibt er: „In der Harburger Öffentlichkeit genieße ich einen guten Namen als ‚ausgewachsener Politiker‘.“ Und sollte sein junges Alter doch ein Nachteil sein, dann „ist es meine Aufgabe, das wettzumachen“.
Eine Einstellung, die ihm helfen dürfte, sich in der Bürgerschaft zu behaupten. Im Moment feilt Sarrazin noch an seiner „persönlichen Zielsetzung“ für die nächsten vier Jahre – und die Ungeduld, endlich im Landesparlament das Wort zu ergreifen, ist spürbar. Dabei hatte er erst vor fünf Monaten entschieden, sich mehr aufs Studium und Private zu konzentrieren und den Posten des Vorstandssprechers der Harburger Grünen abgegeben. „Aber dann kam Ole“, grinst er über den Bruch der Rechts-Koalition im Dezember. Und mit den Neuwahlen die Chance auf höhere Politik und „mehr Gestaltungsmöglichkeiten“ – da konnte er nicht widerstehen. Bundespolitische Ambitionen weist Sarrazin aber betont lässig von sich: „Ich will das jetzt machen, weil ich es jetzt gut finde.“
Die „Frage nach dem Sinn des Lebens“ habe er im Übrigen „um vier Jahre verschoben“. Erst mal guckt er, was machbar ist.