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Archiv-Artikel

Sommer im Schlussverkauf

DGB-Chef Sommer stellt heute sein Gegenprogramm zu den Sozialreformen vor. Doch die Gewerkschaften haben ein Macht- und Imageproblem

von BARBARA DRIBBUSCH

Es ist schwer, gelassen zu bleiben, wenn man ständig Gefahr läuft, ein bisschen altmodisch oder gar lächerlich zu wirken. Sogar TV-Entertainer Harald Schmidt hat sich schon öffentlich über die Gewerkschaften lustig gemacht. Er wolle schon deswegen nicht Bundeskanzler werden, witzelte Schmidt, weil dann seine Sekretärin bei ihm durchrufen und sagen würde: „Herr Bundeskanzler, draußen warten Herr Sommer und Herr Bsirske!“ DGB-Chef Sommer tritt zwar gegenwärtig auf, als wäre er politischer Oppositionschef in Deutschland. In Wirklichkeit haben die Gewerkschaften jedoch ein Image- und ein Machtproblem.

Gewerkschafter würden heute als „Lügner, als Plage oder Frosch“ angefeindet, klagt Michael Sommer, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Sommer wird heute sein Gegenprogramm zur Agenda 2010, also zu den von Kanzler Schröder geplanten Sozialreformen, vorstellen. Vorab hat er seine Vorschläge schon an die heute erscheinende Wochenzeitung Die Zeit gegeben. Doch auf der Liste steht wenig Neues.

Sommer schlägt vor, Teile der Steuerreform von 2004 vorzuziehen und ein staatlich gefördertes Investitionsprogramm für Unternehmen und Kommunen aufzulegen. Ein solches Programm würde die Neuverschuldung des Staates um 7,5 Milliarden Euro erhöhen, nach Sommers Rechnung aber ein Wachstum von 1 bis 1,5 Prozentpunkten anregen. Doch eine höhere Neuverschuldung ist das, was Bundeskanzler Schröder unbedingt vermeiden will. Nur der Sommer-Vorschlag, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, dürfte demnächst vielleicht politisches Gehör finden.

Zur Reform der Sozialversicherung schlägt der DGB-Chef vor, auch Selbstständige in die Sozialkassen einzugliedern und auch Mieten, Pachten und Kapitaleinkommen als Grundlage zur Beitragsbemessung heranzuziehen. Eine höhere Besteuerung von Erbschaften und eine schärfere Aktiensteuer sollen zusätzlich Geld in die Staatskassen spülen. Eine Mehrbelastung von Erbschaften und Vermögen findet gegenwärtig keine politische Mehrheit in der SPD oder bei den Grünen. Aber selbst wenn man die Einnahmebasis für die Sozialkassen verbreiterte und die Erbschaft- und Aktiensteuer verschärfte – es reichte nicht aus, um die Probleme der Sozialversicherungen zu lösen. Der DGB-Chef und auch seine Kollegen, Ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske und IG-Metall-Chef Klaus Zwickel, wissen das. Aber sie dürfen es nicht sagen.

Das ist das Dilemma: Einerseits geben die Gewerkschaften im Moment die starke außerparlamentarische Linke, die letzten Rächer der Nichterben. Die kämpferischen Töne zum 1. Mai und ein geplanter Aktionstag am 24. Mai in Berlin sollen das Profil der Gewerkschaften als gesellschaftliche Gegenmacht schärfen – aber genau damit laufen sie auch Gefahr, als Krawallschachteln der Republik abgestempelt zu werden.

Selbst innerhalb des DGB gibt es Streit um die richtige Politik: So lehnten es am Dienstag IG-Metall-Chef Klaus Zwickel und der Ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske ab, gemeinsam mit anderen Gewerkschaftsvorsitzenden und DGB-Chef Michael Sommer beim Bundeskanzler zu erscheinen, um über die anstehenden Sozialreformen zu streiten. Der Chef der Chemiegewerkschaft, Hubertus Schmoldt, und auch Sommer selbst hätten das Gespräch mit Schröder hingegen gerne geführt. Sie mussten absagen, um die Gewerkschaftsfront nicht als zerstritten dastehen zu lassen.

Auch unter Gewerkschaftsmitgliedern sind die Meinungen geteilt. Nur eine Minderheit trägt einen strikten Anti-Schröder-Kurs mit. Und die Mitgliederzahl der DGB-Gewerkschaften ist beständig am Sinken: von 12 Millionen im Jahr 1991 auf zuletzt 7,7 Millionen. Nur jeder sechste Arbeitnehmer in Deutschland ist noch in der Gewerkschaft. Im Bundestag dagegen ist der Organisationsgrad nach wie vor hoch: 75 Prozent der SPD-Bundestagsabgeordneten gehören einer Gewerkschaft an.