: Haitis Versorgungslage ist prekär
Während die ersten Schritte zur Bildung einer Übergangsregierung eingeleitet werden, nehmen die Hilfsorganisationen trotz fortgesetzter Plünderungen von Lagerhallen ihre Arbeit wieder auf. Denn die Vorräte sind aufgebraucht und die Ernte ist kaputt
AUS SANTO DOMINGO HANS-ULRICH DILLMANN
Zur Vorbereitung einer Übergangsregierung soll in Haiti ein Dreierrat gebildet werden. Dies teilte die Organisation Amerikanischer Staate (OAS) am Donnerstag in der Hauptstadt Port-au-Prince mit. Dem neuen Gremium gehören Leslie Voltaire, bisheriger Kabinettsminister des gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristides, der Oppositionspolitiker Paul Denis sowie der haitianische UN-Repräsentant Adama Guindo an. Die drei sollen innerhalb einer Woche sieben Mitglieder eines Weisenrats ernennen, der wiederum einen neuen Ministerpräsidenten vorschlagen soll.
Die US-Regierung lehnte derweil eine Untersuchung der Umstände ab, die zur Flucht Aristides geführt hatten. Der sprach später von einer Entführung und sagte, er sei nie zurückgetreten. „Es gibt nicht zu ermitteln“, sagte US-Außenamtssprecher Richard Boucher am Donnerstag in Washington. „Es gab keine Entführung, keinen Staatsstreich, keine Drohungen.“ Südafrika und die Gemeinschaft karibischer Staaten (Caricom) hatten eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse gefordert.
In Port-au-Prince kam es trotz ausländischer Truppenpräsenz erneut zu Plünderungen. Bewaffnete raubten Lagerhallen im Hafen aus. Der Chef des Containerterminals, wo gut ein Drittel aller Importe anlanden, sprach von einem „Desaster“. Nach Schätzungen von Hilfsorganisationen sind rund ein Sechstel der 8,5 Millionen Einwohner des Landes auf ausländische Unterstützung angewiesen. Schon vor dem Aufstand wurden mehr als 370.000 Personen vom Welternährungsprogramm versorgt. Mehr als 70 Prozent der haitianischen Bevölkerung leben am Rande oder bereits in extremer Armut.
Die Krise verschärfte sich noch, nachdem die Rebellen die Nordregion erobert hatten. Lebensmittellager unter anderem auch der seit 30 Jahren im Land präsenten Deutschen Welthungerhilfe wurden von der Bevölkerung geplündert. „Die Zuspitzung des Konflikts kam genau zur Erntezeit“, sagt Balthasar Stammbach, Haiti-Koordinator der Organisation. Ein Teil der Ernte sei auf den Feldern verdorben. Außerdem gäbe es keine sicheren Zugängen zu den Regionalmärkten. Die meisten Überlandverbindungen sind noch immer mit Barrikaden blockiert. Wer die Ernte aber nicht verkaufen kann, dem fehlt Geld für Saatgut und den Lebensunterhalt. Ein Teufelskreis.
Am Montag will Stammbach aus der benachbarten Dominikanische Republik nach Cap Haïtien zurückkehren. Dort wartet das Chaos. Das Büro der Welthungerhilfe in Haitis zweitgrößter Stadt wurde nach dem Sturm der Rebellen ausgeraubt, die Fahrzeuge zerstört. „Logistisch fangen wir wieder bei null an“, so Stammbach. Dabei wäre derzeit schnelle Hilfe notwendig. Denn in der Umgebung der Stadt und im bäuerlichen Nordwesten ist die Grundnahrungsmittelversorgung zusammengebrochen.
Auch die Katastrophenhilfe der Diakonie steht in den Startlöchern. Das evangelische Hilfswerk unterstützte im Landesinneren 300 Familien und arbeitete mit Kleinbauernorganisationen. „Unser Ziel ist die langfristige Sicherung der Basisernährung“, sagt Michael Jordan, der vom kolombianischen Bogotá aus den Einsatz leitet.
War die Versorgung schon Ende 2003 prekär, so habe sich die Hungersituation durch die Blockade der ländlichen Gebiete seit dem Aufstand weiter verschlechtert. Die seit Jahrzehnten verfehlte Agrarpolitik räche sich jetzt doppelt. Die Böden seien ausgelaugt, die wenigen Vorräte geraubt oder aufgebraucht. „Wir müssen die Ernährung der Bevölkerung bis zur nächsten Ernte garantieren“, so Jordan. Das Rote Kreuz kalkuliert seine Hilfe mit 2,9 Millionen Euro in den nächsten vier Monaten. Damit soll die Arbeit der Krankenhäuser wenigstens rudimentär garantiert werden. 35 Tonnen Medikamente, Wasseraufbereitungstabletten und Schulmaterial vom UN-Hilfswerk Unicef trafen bereits ein. Seit Monaten ist der Unterricht ausgefallen. MIT AP, AFP