Tbilissiwood liegt an der Oberbaumbrücke

Seit dem Zusammenbruch der heimischen Filmindustrie arbeiten immer mehr Filmemacher aus Tbilissi in Berlin. Der gute Ruf des georgischen Kinos hat hier schon so manchem zum internationalen Durchbruch verholfen. Andere hoffen noch darauf – wie David Gudjabidze und Zaza Buadze

„Ich hoffe, dass wir das Poetische im Film hier erhalten können“

von GESINE DORNBLÜTH

„Während der Aufnahme muss Ruhe sein.“ Der Vorwurf in der Stimme der Cutterin ist nicht zu überhören. Zum dritten Mal versucht sie, eine Stimme unter dem Weinen der Darstellerin herauszuschneiden. Eine Stimme, die im Film nichts zu suchen hat. Sie gehört Nana Dshordshadze. Die Regisseurin dreht sich mitsamt ihrem Stuhl vor dem Schnittpult hin und her und schaut gebannt auf den Bildschirm. Leere Kaffeetassen stehen herum, ein angebissenes Croissant liegt zwischen den Mischknöpfen. „Das wissen wir“, beschwichtigt sie die Cutterin, „aber in der Praxis ist Schweigen eben ein Problem – da kann man noch so professionell sein.“

Die georgische Filmemacherin Nana Dshordshadze pendelt seit zehn Jahren zwischen ihrer Heimatstadt Tbilissi, Berlin und Paris. Seit vier Jahren betreibt sie in Berlin das „Studio 99“. Gerade ist sie von einem Dreh aus Georgien zurückgekommen. „Der Briefträger“ lautet der Arbeitstitel des Kurzfilms. „In Georgien kostet ein Drehtag vielleicht ein Fünftel oder ein Sechstel dessen, was man in Deutschland zahlen müsste. Die Leute, die Location – alles ist dort billiger. Hotelzimmer kosten so gut wie gar nichts.“

Weil das Geld für den Kurzfilm aus Deutschland kommt, unter anderem vom Land Nordrhein-Westfalen und dem Filmboard Berlin-Brandenburg, findet die Postproduction allerdings in Berlin statt. Das Team ist auch hier international: Die Cutterin stammt aus Bulgarien, eine Producerin aus Russland, die andere hat mongolische Vorfahren. Alle leben in Berlin. Gesprochen wird Russisch.

Dshordshadze fährt sich über ihre grüne Krawatte. Ihre Stimme klingt brüchig. „Unter Künstlern ist es egal, aus welchem Land man kommt. Wer bereit ist, zum Dreh mit nach Georgien zu fahren, hat eine gewisse Abenteuerlust. Das gefällt mir. Wir verstehen einander vielleicht nicht immer sprachlich hundertprozentig, dafür aber gefühlsmäßig. Das ist das Wichtigste. Die Hauptsache ist, dass alle das Drehbuch mögen.“

Seit dem Zusammenbruch der georgischen Filmindustrie arbeiten immer mehr Filmemacher aus Tbilissi in Berlin. Nana Dshordshadze kam 1993 nach Berlin. Sie hatte damals ein einjähriges Stipendium des Nipkow Programms, das osteuropäische Filmschaffende unterstützt. „Damals habe ich viele Leute kennen gelernt und schließlich Angebote bekommen. Das war der Anfang.“ Dshordshadze verfilmt ausschließlich Drehbücher ihres Mannes, des Autors Irakli Kwirikadze. Für ihren Film „1001 Rezepte eines verliebten Kochs“, eine georgisch-deutsch-französische Koproduktion mit Pierre Richard in der Hauptrolle, wurde sie für einen Oskar nominiert. Ihr letzter Film, „27 missing kisses“, lief über Wochen weltweit in den Kinos.

„Irakli schreibt unglaublich schöne Geschichten. Sie sind lustig und traurig zugleich. Die meisten spielen in Georgien, aber oft ist es ganz einfach, sie für ein griechisches oder ein amerikanisches Publikum umzuschreiben. Komischerweise sind meine Filme auch in Japan, China und Korea sehr populär.“ In Tbilissi hingegen war „27 missing kisses“ nur eine Woche lang in einem Kino zu sehen. „Die Leute können sich die Karten nicht leisten. Und die Kinos sind miserabel ausgestattet. Kaum ein Saal hat Dolby-Surround-Technik.“

„In den letzten Jahren war es in Georgien fast unmöglich, Filme zu machen“, klagt auch David Gudjabidze. Der Kameramann ist seit drei Monaten in Berlin. Auch er hat ein Stipendium und will versuchen, in der deutschen Hauptstadt den Sprung zurück ins Filmgeschäft zu schaffen. In Tbilissi hat Gudjabidze zuletzt in der Marketingabteilung einer Bank gearbeitet. Anders hätte er seine Familie nicht ernähren können.

Wo immer Gudjabidze in Berlin auftaucht, hat er eine dicke Tasche dabei. Meist dauert es nur kurze Zeit, bis er seine Videokamera auspackt. Er spricht von einem juristischen Vakuum in Georgien. „Bis vor zwei Jahren gab es kein Gesetz, das die Filmförderung regelte. Deshalb war es unmöglich, Sponsoren zu finden.“ Mittlerweile hat das Parlament ein entsprechendes Gesetz verabschiedet – aber es werde nicht umgesetzt.

Zumindest einen Film hat Gudjabidze trotzdem in seiner Heimat drehen können. „Die Arche“ erzählt vom Ende der Menschlichkeit während der postsowjetischen Umbrüche in Georgien. Der Film erhielt mehrere osteuropäische Preise. Gudjabidze hebt den Zeigefinger. „Dabei mussten wir unsere Dreharbeiten für drei Jahre unterbrechen, weil auf einmal das Geld ausblieb.“ Die Kulissen waren schon gebaut und standen leer. Sein Honorar erhielt der Kameramann zwei Jahre nach Abschluss des Films. Es war gerade mal das Anderthalbfache dessen, was er in einem Monat in der Bank verdiente.

„Ich weiß, dass es auch in Berlin nicht einfach ist, ins Geschäft zu kommen, aber mir scheint, mit Glück und Talent kann man hier eine Nische finden. Man muss allerdings ein bisschen suchen und sich jenseits des Mainstreams bewegen. Notfalls muss man sich die Nische eben bauen.“ Wie das gehen soll, weiß Gudjabidze allerdings auch noch nicht.

„Es ist in Georgien fast unmöglich, Filme zu machen“

Für alle Fälle hat er schon mal einen Kurzfilm gedreht, natürlich ohne Budget – darin ist er als Georgier geübt. Der Film spielt auf der Oberbaumbrücke. Der Titel: „Nichts wie weg“ – eine Spielerei um Angst. Solange die großen Verträge ausbleiben, helfen die Kontakte zu georgischen Künstlern, die sich in Berlin bereits etabliert haben. In der Galerie „Art of Georgia“ am Kurfürstendamm stellt Gudjabidze, im zweiten Beruf Fotograf, Aufnahmen aus Tbilissi aus. Zur gemeinsamen Vernissage mit dem Maler Zaza Tuschmalischwili kamen mehr als hundert Gäste, vorwiegend Georgier und einige russischsprachige Liebhaber. Deutsch hörte man selten.

Die Cutterin im Studio hat es geschafft und Nana Dshordshadzes Stimme rausgeschnitten. Die Regisseurin erhebt sich von ihrem Drehstuhl. „Schluss für heute. Morgen gucken wir uns das ganze erst mal am Stück an. Aber bitte pünktlich.“ Dshordshadze seufzt. Die Schnittzeit sei zu knapp, das Studio teuer. Sie hofft deshalb, diese Arbeiten demnächst in Georgien machen zu können. „Seit ein paar Wochen geht es in Georgien bergauf. Es gibt ein paar reiche Leute, die in Kultur und Kunst investieren.“ Fürs Erste sind ein paar Fernsehfilme geplant.

Diverse georgische Filmschaffende in Berlin hoffen, dass der gute Ruf des georgischen Kinos ihnen den Start erleichtert. „Der georgische Film hatte eine Sonderstellung innerhalb der Sowjetunion“, berichtet der Regisseur und Drehbuchautor Zaza Buadze. „Die Georgier haben es geschafft, auch während der Sowjetzeit ein Maximum an individueller Ausdrucksform zu wahren – und zwar mit Hilfe von poetischen Parabeln.“ Die Parabel habe sich mittlerweile überholt. „Aber ich hoffe, dass wir das Poetische im Film erhalten können.“

Buadze hat sich in Tbilissi mit Werbefilmen über Wasser gehalten. Er spricht von einer neuen Generation des georgischen Films. „Außer der Finanzkrise hatten wir eine Identitätskrise. Wir müssen erst einmal verstehen, was passiert ist. Das ist wie mit dem Sturm im Wasserglas. Es muss sich erst mal setzen.“ Buadze schreibt in Berlin an einer Auftragsarbeit. Es geht um einen historischen Stoff. „Die Stadt gibt mir die nötige Ruhe, um zu arbeiten“, sagt er. Und sie inspiriert ihn.

Neben der Auftragsarbeit hat Buadze eine zweite Geschichte geschrieben, sie spielt in Kreuzberg. „Ich wollte etwas Typisches über Berlin schreiben. Aber ich glaube, es ist wieder nur etwas über Georgien herausgekommen.“ Buadze lacht. Vieles in Berlin erinnere ihn an seine Heimatstadt: „Wärme, Offenheit und Toleranz. Gegensätze leben hier harmonisch zusammen.“ So sei es in Tbilissi auch einmal gewesen, Anfang der 90er-Jahre, vor dem Krieg, der das Land in die Krise stürzte, früher, als in Georgien noch Filme gedreht wurden.