Islam im Klassentest – reden oder regulieren?
„Verzweiflung bei den Lehrenden“

Können Mädchen mit Kopftuch turnen? Müssen sie wissen, wie Babys gemacht werden? Zwei Reizthemen an Berliner Schulen. Die taz fragt Lehrende nach ihren Alltagserfahrungen und Lösungen. Vier Protokolle

Brigitte Pick, Schulleiterin der Rütli-Hauptschule in Nord-Neukölln, sieht eine große Verzweiflung bei den Lehrern:

„Ungefähr dreißig Mädchen tragen an unserer Schule ein Kopftuch. In den Augen der Jungen gibt es dadurch zwei Sorten Mädchen: die Schlampen ohne – und die anständigen Mädchen mit Kopftuch. In der Regel werden die von den muslimischen Jungen in Ruhe gelassen. Wenn es zu sexuellen Belästigungen kommt, dann immer gegen Mädchen ohne Kopftuch. Je patriarchaler das Elternhaus, desto weniger können wir auf diese Jungen Einfluss nehmen. Kommen Sie mal als junge Lehrerin an die Schule und halten das aus.

Ich bin für ein Kopftuchverbot. Diese Meinung vertrete ich auch öffentlich. Aber langsam kriege ich kalte Füße. Ich habe schon per Post ein Flugblatt erhalten: Wir warnen Sie – wagen Sie nicht das Kopftuch in der Schule zu verbieten für unsere Töchter. Islam siegt!

Obwohl wir den Sportunterricht schon seit vielen Jahren nach Geschlechtern getrennt geben, versuchen die Eltern, die Mädchen davon zu befreien. Es kursieren sogar Vordrucke einer Moschee, mit denen Eltern einen Antrag stellen können. Einmal sagten mir Eltern gleich bei der Einschulung, ihre Tochter dürfe nicht am Sexualkundeunterricht teilnehmen. Ich habe geantwortet, dass ich dann ihre Tochter nicht aufnehmen könne. Da waren die ruhig.

Es ist nicht einfach, die Eltern zu überzeugen. Der Schwimmunterricht findet gar nicht mehr statt. Früher war das kein Problem. Aber in dem Moment, in dem die muslimischen Schüler in der Mehrzahl sind, schlägt das um. Letztendlich liegt es dann am Lehrenden, wie damit umgegangen wird. Viele Lehrer scheuen sich, mit den Eltern zu reden. Ich sehe eine große Verzweiflung bei den Lehrern.

Auch Klassenfahrten gibt es bei uns nicht mehr. Denn was haben wir davon, wenn wir nur mit der Hälfte der Klasse fahren? Das wirkt doch zusätzlich desintegrierend. Die Befürchtung der Eltern ist stets, dass die Mädchen auf der Klassenfahrt Sex haben könnten. Natürlich spielt auch die finanzielle Situation der Familien in diesem Kiez eine Rolle. Das so genannte Kamel-Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster gibt den Eltern auch noch Recht: Das Mädchen muss nicht mitfahren. Diese Pseudo-Liberalität geht mir auf die Nerven.“

„Keine strengeren Gesetze nötig“

Gerd Hurrelmann, stellvertretender Schulleiter an der Hector-Peterson-Gesamtschule in Kreuzberg, glaubt, dass sich die Schule auf die Schüler einstellen muss, die sie hat:

„Der hohe Anteil muslimischer Schüler von fast 60 Prozent ist für uns kein Problem. Wir versuchen, das Thema Islam in den Unterricht mit einzubeziehen. Während des Ramadan nehmen wir darauf Rücksicht, dass die Kinder in dieser Zeit müde sind. Bei unserem Unterricht in der Küche berücksichtigen wir natürlich die muslimischen Schüler. Wir müssen uns eben auf die Schüler einstellen, die unsere Schule besuchen.

Auch mit dem Kopftuch gehen wir sehr tolerant um. Wir wollen das in keiner Weise verbieten. Das stand für uns nie zur Diskussion. Im Sportunterricht können wir die meisten Mädchen überzeugen, das Kopftuch abzunehmen. Dazu muss gewährleistet sein, dass keine Jungen teilnehmen und dass eine Sportlehrerin den Unterricht gibt. Auch an der Sexualkunde nehmen alle Schüler ganz selbstverständlich teil. Wir erleben keinerlei religiösen Druck.

Die Religion der Schüler ist eigentlich nicht unser Problem. Viel gravierender sind die Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. Auf den Elternabenden zum Beispiel wird deutlich, dass die meisten nicht gut Deutsch sprechen. Daher sind sie eher zurückhaltend. Ich weiß nicht, wie wir dieses Riesenproblem lösen sollen. Als Schule können wir das nicht schaffen. Die Eltern sprechen zu Hause Türkisch mit den Kindern und unterhalten sich untereinander nur auf Türkisch. Auch das türkische Satellitenfernsehen hat die Lage verschlechtert. Solange die Hälfte der Schüler nichtdeutschsprachiger Herkunft ist, stimmt die Mischung. Aber irgendwann kippt das Verhältnis und dann laufen auch die letzten deutschsprachigen Schüler der Schule davon.

Wir brauchen keine strengeren Gesetze. Die Schulen müssen besser ausgestattet werden. Dann könnte man besser auf die Probleme der Schüler eingehen. Förderunterricht und kleinere Klassen machen die Schulen für alle attraktiver.“

„Mädchen sitzen traurig daneben“

Annette Spieler, Schulleiterin und Biolehrerin an der Fichtelgebirge-Grundschule im Wrangelkiez/Kreuzberg, sieht in den Kindern die Leidtragenden:

„Als Biologielehrerin gebe ich auch Sexualkundeunterricht. Bei den muslimischen Kindern merke ich, dass über das Thema Sexualität zu Hause nicht gesprochen wird. Ich sage dann: „Ich weiß, dass das für euch nicht einfach ist, ich zwinge euch nicht, darüber zu sprechen.“ Die Unterschiede in den Klassen sind erheblich: voll aufgeklärte deutschsprachige Kinder und daneben muslimische Kinder, die die naivsten Fragen stellen. Manche 11- oder 12-jährige Mädchen wissen nicht einmal, wie man schwanger wird. Um es den Kindern leichter zu machen, unterrichte ich Sexualkunde teilweise getrennt und teilweise für Mädchen und Jungen zusammen. Ich versuche den Mädchen beizubringen, dass sie in einer Partnerschaft gleichberechtigt sind. Sie dürfen nein sagen, wenn sie nicht mit ihrem Freund schlafen wollen.

Die Eltern informiere ich vorher. Wir veranstalten allerdings keine offiziellen Elternabende zu dem Thema mehr, denn da kann uns die Situation entgleiten. Dann sagt ein Vater was auf Türkisch und die Stimmung kippt. Wir wären hilflos, ich hätte keine Ahnung, was da läuft, denn ich kann kein Wort Türkisch.

Bei uns schwimmen die Mädchen und die Jungen zusammen, damit hatte ich noch keinen Ärger. Erst einmal ist ein Mädchen nicht zum Schwimmunterricht gekommen. Ich habe den Vater auf die Teilnahmepflicht verwiesen. Dann ist er mit einem ärztlichen Attest gekommen, angeblich leide das Kind an einer Atemwegserkrankung. Ich hätte das natürlich vom Schularzt überprüfen lassen können. Darauf habe ich aber verzichtet. Wir haben nur zwei Mädchen in der fünften Klasse, die ein Kopftuch tragen. Die Grundschule wird noch als Kindheit betrachtet. Ich kann aber jetzt schon sagen, welche meiner Schülerinnen auf der Oberschule ein Kopftuch tragen werden.

Manchmal erinnere ich die Eltern daran, dass das Kopftuch in der Türkei nicht erlaubt ist. Ein Kopftuchverbot ließe sich an einer Schule nur durchsetzen, wenn alle Lehrer dafür wären. Aber viele Kollegen sagen, das sei Religionssache. Ich glaube, sie haben einfach resigniert.

Die Mädchen können bei bestimmten Übungen im Sportunterricht nicht teilnehmen, denn die Kopftücher sind mit Nadeln befestigt. Das sind meine Sicherheitsbedingungen, dann schauen sie eben zu. Letztendlich sind die Kinder die Leidtragenden.

Auf jeder Klassenfahrt kommen zwei, drei Mädchen nicht mit. In solchen Fällen reden die Lehrer nicht nur einmal mit den Eltern – ohne Erfolg. Alle Kinder freuen sich und zählen die Tage, die betroffenen Mädchen sitzen traurig daneben.“

„Das Recht stärkt eher die Eltern“

Jürgen Jaster, Sportlehrer und Schulleiter an der Zürich-Grundschule in Britz, setzt auf Gespräche mit den Eltern:

„Ungefähr 30 Prozent unserer Schüler sind Muslime. Die Probleme haben in den letzten Jahren zugenommen. Der Irakkrieg, die Situation im Nahen Osten, Afghanistan – das hat zu einer gesellschaftlichen Polarisierung geführt, die auch in die Schule getragen wird. Der Einfluss der Imame hat zugenommen. Gerade die Mädchen sind innerlich zerrissen. Auf der einen Seite wollen sie ihrem Glauben Rechnung tragen. Auf der anderen Seite möchten sie wie jedes andere Kind am Sportunterricht teilnehmen. Da fließen immer wieder Tränen wegen des Kopftuchs oder der Schwimmkleidung. Viele dieser Probleme waren bis vor fünf, sechs Jahren zurückgedrängt, weil wir die Eltern durch unsere Arbeit integriert hatten. Sexualkunde, Schwimmunterricht waren selbstverständlich.

Wir haben den Vorteil, dass wir eine Kiezschule sind. Lehrer und Eltern kennen sich und sprechen miteinander. Manche Eltern waren selbst schon als Schüler bei uns. Natürlich wollen einzelne Eltern ihre Kinder vom Sexualkundeunterricht abmelden. Erst durch viele Gespräche öffnet sich dann ein Weg. Auch vor Klassenfahrten können wir die Eltern meistens durch sehr intensive Gespräche überzeugen, dass sie die Mädchen mitfahren lassen. Es macht Mühe, sich immer wieder mit den Eltern hinzusetzen. Aber wenn man etwas erreichen will, ist das der einzige Weg.

Für den Schwimmunterricht haben wir mit den Eltern die Regelung gefunden, dass die Kinder Leggings anziehen dürfen und lange T-Shirts, sodass der Körper bedeckt ist und die Schülerinnen mitmachen können. So geht’s. Diese Mädchen wechseln im Laufe des Schwimmunterrichts meist zu normalen Badeanzügen, weil alle Kinder die tragen.

Die Politik müsste die nötigen gesetzlichen Grundlagen schaffen. Momentan stärken die Gerichte mit ihren Urteilen die Eltern und wir müssen zusehen, wie wir damit im Alltag umgehen. Eine klare Entscheidung wie das Kopftuchverbot in Frankreich würde ich mir auch hier wünschen. Das würde uns das Leben leichter machen.“

AUFGEZEICHNET von WIBKE BERGEMANN