Feminismus Ost? Fehlanzeige!
: Litauen: Mit 25 muss man verheiratet sein

VON REINHARD WOLFF

Wenn eine Litauerin heiratet, dann muss sie nicht nur den Namen ihres Mannes annehmen. Nach den jahrhundertealten Regeln der litauischen Sprache – eine der ältesten Europas – wird bei der Frau zusätzlich die weibliche Endung „-iene“ an den Familiennamen gehängt. Um eindeutig klar zu machen: Das ist eine verheiratete Frau. Die 25-jährige Vilija Bartasiute hatte im letzten Jahr den ersten Musterprozess gegen diese Regelung geführt. Das „Rudis“ ihres Mannes als Nachnamen wollte sie akzeptieren. Aber nicht die feminine „Rudiene“: „Mein Mann und ich wollen einmal in Europa arbeiten“, erklärte sie der Tageszeitung Lietuvos Rytas: „Soll ich da ständig erklären müssen, warum wir verschiedene Nachnamen haben? Das ist einfach eine sehr unpraktische Tradition.“

Das Amtsgericht Klaipeda gab Bartasiute Recht. Zum Leidwesen von Linguisten und Traditionalisten. Und zur Genugtuung von Frauen wie der Journalistin Dalia Gudeviciute: „Frauen sollten wählen können, wie sie heißen.“

Vielleicht ist der Ausgang dieser aufmerksam verfolgten Namensdebatte ja ein Signal. Das Frauenbewusstsein wachse langsam wieder, hofft Ljudmila Macejeva von der Wohlfahrtseinrichtung SIF in Vilnius, in der versucht wird, Frauen unter anderem mit Computerkursen den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern.

Waren 1991 noch mehr Frauen als Männer in Arbeit, hat sich dieses Verhältnis inzwischen umgekehrt. Viele Frauen hätten sich wieder auf eine Rolle als Ehefrau und Mutter zurückgezogen. „Warum sollte eine litauische Frau auch nach etwas streben, von dem sie weiß, dass es nicht möglich ist“, erklärt Ljudmila diese Haltung. Die Löhne für Frauen sind durchweg niedriger als für Männer. Und ihr politischer Einfluss ist gering. Beispielsweise sind nur 10 Prozent der Parlamentsabgeordneten weiblich.

„Litauen befindet sich in einer paradoxen Situation“, sagt eine dieser wenigen weiblichen Stimmen in der Seimas. Die Sozialdemokratin Giedre Purvaneckiene: „Wir haben das beste Gleichstellungsgesetz aller baltischen Länder, aber wir sind in einer Periode, in der Frauen in der Gesellschaft als zweitklassig angesehen werden.“

Vielleicht habe es mit dem Katholizismus im Lande zu tun, vielleicht aber auch mit der schwierigen Situation vieler Familien. Wo nicht nur oft der Alkohol ein großes Problem ist, sondern auch so etwas wie genügend Kindergartenplätze der sowjetischen Vergangenheit angehören. Frauen sind in den traditionellen Bereichen beschäftigt: Erziehung, Pflegeberufe, als Verkäuferinnen. Und da sind die Löhne niedrig.

Iveta mit einem Job als Buchhalterin bei einem ausländischen Unternehmen in Vilnius bringt bei gleicher Arbeitszeit mit 600 Litas (175 Euro) nicht einmal die Hälfte dessen nach Hause, was ihr Ehemann Darius als Grenzbeamter an der litauisch-weißrussischen Grenze verdient (1.500 Litas). Eine Familie mit diesem Einkommen zählt zum Mittelstand.

„Feminismus“ habe in den baltischen Staaten das Negativvorzeichen „kommunistisch“, berichtet die Genderforscherin Barbi Pilvre von der estnischen Universität Tartu: „Dabei galt er ja dem Kommunismus als bürgerliche Erfindung.“ Eine Frau, die mit 25 Jahren nicht verheiratet ist, gilt als „altes Mädchen“. Die Werte, die jetzt als westlich, modern und erstrebenswert gelten, seien weibliche Schönheit und männlicher Erfolg im Beruf. Die gesellschaftliche Stellung der Frauen spiegele dieses herrschende Bild wider: „Sie hat sich für ihre Familie aufzuopfern, Geldverdienen ist Männersache.“ Da man derzeit aber sowieso alles aus dem Westen übernehme, sei es wohl nur eine Frage der Zeit, bis Feminismus und Gleichstellung die nächsten Importwaren seien.