: Acrylamid auf den Fersen
Schwedische Forscher entwickeln verfeinerte Methode, um auch kleinste Mengen einer Acrylamid-Belastung des Körpers messen zu können. Sie warnen: Einen Grenzwert, unter dem das Gesundheitsrisiko gleich null ist, gibt es nicht
Acrylamid steigert das Krebsrisiko und kann das Erbgut schädigen. Nicht dadurch, dass es direkt die DNA von Körperzellen verändert, sondern auf einem Umweg: Im menschlichen Körper bildet es Glycidamid, welches seinerseits mit dem Hämoglobin der roten Blutkörperchen und der DNA in den Körperzellen reagiert. Die Forscher an der Universität Stockholm, die vor einem Jahr als erste „Acrylamidalarm“ gegeben hatten, haben nun eine neue verfeinerte Messmethode entwickelt, durch die über eine Blutprobe nachgewiesen werden kann, ob eine Person Acrylamid ausgesetzt worden ist, und wenn ja, in welchem Umfang.
Auch sehr geringe Dosen können entdeckt werden, weil man misst, wie viel Glycidamid an das Hämoglobin gebunden ist. Birgit Paulsson vom Institut für Umweltchemie, über deren Studie die wissenschaftliche Zeitschrift Ny Teknik jetzt berichtete, kam bei ihren Messungen zum Ergebnis, dass bereits minimale Mengen von Acrylamid gentoxische Wirkung habe, also die Gene schädlich beeinträchtige.
Sehr unterschiedlich scheinen jedoch die Belastungen der Betroffenen zu sein, je nachdem wie sie dem Acrylamid ausgesetzt waren und auch welcher Art von acrylamidhaltigen Substanzen.
So wurde bei Bauarbeitern, die acrylamidhaltige Erdmassen bei einem Tunnelbau entsorgten, keinerlei Acrylamidbelastung gefunden. Im Unterschied dazu waren bei Arbeitern einer Glashütte, die spezielle Gläser fertigten und dabei Acrylamiddämpfen ausgesetzt waren, so starke Belastungen gemessen worden, dass unmittelbar Konsequenzen gezogen wurden. Paulsens Messergebnisse führten dazu, dass die fraglichen Substanzen aus dem Produktionsprozess entfernt wurden.
Starke Belastungen fand man auch bei Arbeitern, die mit acrylamidhaltigen Substanzen zum Abdichten von Swimmingpools gearbeitet hatten. Bei einem Arbeiter führten die Blutprobennachweise dazu, dass er zwischenzeitlich seine Nervenerkrankung als Berufskrankheit anerkannt bekommen hat
In Stockholm will man sich in Zukunft nun verstärkt mit den Reaktionen im Körper beschäftigen, die bei der Aufnahme von acrylamidhaltigen Lebensmitteln entstehen – dem Teil des „Acrylamidalarms“ – Stichwort: Chips und Pommes –, der in den letzten Monaten am meisten Aufsehen in der Öffentlichkeit erregt hatte.
Laut Margareta Törnqvist, Dozentin für Umweltchemie an der Stockholmer Universität, lassen die Erkenntnisse der Paulsson-Studie schon jetzt darauf schließen, „dass es keine Sicherheitsmarke gibt, unter welcher Acrylamidexponierung ungefährlich ist“. Jedenfalls nicht was Krebserkrankungen angehe, weil sich Glycidamid im Körper bereits bei extrem geringen Acrylamiddosen bilde. Acrylamid sei auch deshalb besonders ernstzunehmen, weil es relativ langlebig sei und sich im ganzen Körper verteile.
Doch sie warnt bei aller Ernsthaftigkeit des Acrylamidproblems vor Panik: „Acrylamid ist nicht unser schlimmstes Problem. Wenn man davon ausgeht, dass das Risiko, an Krebs zu erkranken, heute 30 Prozent beträgt und wir morgen Acrylamid vollständig aus dem biologischen Kreislauf entfernen könnten, dann würde dieses Risiko nur knapp unter 30 Prozent sinken.“ REINHARD WOLFF