: Segeln wie vor 150 Jahren
Moderne Yachteinrichtungen wie Dusche oder Toilette gibt es nicht an Bord. Trinkwasser wird in einem großen Fass mitgeführt. Wer sich waschen will, holt mit der Pütz Seewasser an Deck. Mit dem Frachtsegler „Le Bonté“ auf dem Kanal von Mosambik
von VOLKER JÖRN WALPUSKI
Im Abendlicht sehe ich den „Gare de Pirogiers“ (Pirogenhafen) von Toliara das erste Mal: Es ist Ebbe. Am Strand der madegassischen Provinzhauptstadt im trockenen Südwesten liegen leere Panzer der geschützten Strahlenschildkröte, im Strandgut tummeln sich die Schweine und suchen nach Futter. Zahllose Pirogen liegen am Strand und weiter draußen sind zwei Boûtres trocken gefallen. Neugierig wandere ich hinaus auf der Suche nach dem Kapitän der „Le Bonté“. Die Suche nach dem Eigner und Kapitän gestaltet sich schwierig. Der Boûtre liegt verlassen da, keine Menschenseele ist an Bord. Im Gare de Pirogiers gibt es viele Holzbuden, wo Touristen Pirogen- oder Motorbootfahrten in den Badeort Anakao buchen können. Ich erkundige mich nach den Boûtres, aber das ist nicht das Geschäft der Vermittler. Dennoch macht sich Ferdinand mit mir auf die Suche nach dem Kapitän. Lange laufen wir durchs Labyrinth der Holzhütten des Hafenviertels. Immer wieder fragen wir nach dem Kapitän, bis wir endlich vor seinem Haus stehen. Doch er ist weg. Morgen käme Ferdinand mit dem Kapitän in meine Unterkunft, dann könnten wir den Fahrpreis aushandeln.
Pünktlich sind die beiden in meinem Hotel. Schnell werden wir uns handelseinig: 100.000 madegassische Francs, das sind weniger als 20 Euro. Dafür übernimmt der Kapitän auch meine Verpflegung. Für mich ist dieser Preis lächerlich niedrig, für ihn ein kleines Vermögen. Einschiffen sei am nächsten Abend bei Sonnenuntergang, Abfahrt dann im Morgengrauen.
Der „Le Bonté“ ist ein gaffelgetakelter Zweimast-Schoner ohne Maschine. Die Schiffsbauer haben die Planken roh behauen, die Ritzen sind kalfatert: Schiffbau wie vor 150 Jahren. Die Segel sind aus ausgerecktem Baumwolltuch, oft geflickt und an manchen Stellen noch immer oder schon wieder zerrissen. Schoten und Fallen, alles laufende Gut ist aus Sisal. Ein paar Kilometer inlands habe ich Dorfbewohner am Straßenrand Tauwerk aus Sisalfasern schlagen und feilbieten sehen. Wenn an Bord gerade nichts zu tun ist, schlägt der erste Matrose Barnabé aus Nylonseilresten ein neues, langes Tau. Einziges Eingeständnis an die Moderne sind die stählernen Wanten und der rostige Stockanker. Das Stampfstag ist eine mit Schäkeln und Draht oft geflickte, rostige Kette. Große Feldsteine im Kielraum sorgen für den notwendigen Ballast.
Abends komme ich durchs Watt gut an Bord – die „Le Bonté“ liegt trocken auf dem Kiel. Ich bekomme eine Kajüte auf dem Achterdeck zugewiesen und bin damit Passagier erster Klasse. Das ist wenig verwunderlich – habe ich doch mindestens den fünffachen Fahrpreis bezahlt. Nur die Kapitänskajüte ist größer und verfügt über ein richtiges Bett. In der Feuerkiste züngeln die Flammen unter dem Reistopf, die Sonne sinkt hinter den Horizont, eine laue Brise weht.
An Bord sind inzwischen knapp zwei Dutzend Menschen, überwiegend Passagiere, darunter drei Frauen. Doch die Anzahl der Passagiere wird bei weitem von der Anzahl der Kakerlaken an Bord übertroffen: Mit Einbruch der Dunkelheit kommen die fingerlangen Insekten aus ihren Ritzen gekrabbelt und laben sich an den zahlreichen Essensresten, die während des Tages auf die Planken gefallen sind. An Schlaf ist nur schwer zu denken, auch weil die Kajüte zu kurz für mich ist und ich mich auf dem unebenen Boden nicht ganz ausstrecken kann.
Im Morgengrauen wird der Anker lange vor Sonnenaufgang gelichtet: Ein herrlicher Südwester treibt uns mit 4 bis 5 Beaufort die Westküste Madagaskars hinauf. Immer unter Landsicht surfen wir die Wellen hinab, Meer und Himmel konkurrieren um das intensivere Blau. Baden sollte man hier nicht – Haigewässer.
Mit den Boûtres segeln die Madegassen zwischen Toliara und Mahajunga und zu den Komoren. Sie transportieren Feldfrüchte, Trockenfisch und Salinensalz in die Städte, auf dem Rückweg bringen sie Dinge des täglichen Bedarfs wie Seife, Bier oder Zement mit. Oft findet sich aber auch gar keine Ladung, sodass die Schiffe leer segeln müssen.Unter Landsicht segeln wir die Küste entlang. Karim von der Crew zeigt auf die Dörfer, die wir passieren: Ifaty, Fitsitika, Tsifota, Ambatomilo.
Manofrohotsy Faraly ist einer der wenigen Passagiere, der Französisch spricht. Der Polizist ist mit seinen drei Söhnen unterwegs zu seinem Kommissariat im Norden. Für ihn gibt es kaum eine Alternative zum Seeweg. Nähme er Buschtaxis, müsste er einen Umweg von über 1.000 Kilometern machen. Ganz davon abgesehen, dass die Fahrt auf dem Boûtre deutlich kostengünstiger ist.
Gegen Sonnenuntergang segeln wir wieder dicht unter der felsigen, einsamen Küste. Barnabé steht im Masttopp, hält Ausschau. Wir suchen nach rund 90 Seemeilen einen Ankerplatz zwischen den kleinen Inseln und in den Felsbuchten. Die letzten 20 Meilen nach Morombe können wir in der Nacht nicht segeln: An Bord befinden sich keinerlei Navigationsinstrumente, keine Kommunikationsgeräte, keine Rettungsmittel. Gesteuert wird nach Sicht und Erfahrung.
Moderne Yachteinrichtungen wie Dusche oder Toilette gibt es nicht an Bord. Trinkwasser wird in einem großen Fass mitgeführt. Wer sich waschen will, holt mit der Pütz Seewasser an Deck. Bedürfnisse müssen über die niedrige Bordwand vor vielen Augen mit einem sicheren Haltegriff an Wanten oder Aufbauten erledigt werden. Anfänglich kostet dies Überwindung: Intimsphäre gibt es in der Enge nicht.
Im Morgengrauen wird der Anker gelichtet, ohne Spill, ohne Winsch, nur mit Muskelkraft. Die Segel werden gesetzt. Uns kommen unzählige Pirogen entgegen – Morombe („großer Strand“) ist nicht mehr fern!