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Archiv-Artikel

DIE POLNISCHE AUSSENPOLITIK MUSS VIEL KLARER WERDEN Reparaturwerkstatt „Weimarer Dreieck“

Das „Weimarer Dreieck“, ein regelmäßiges polnisch-französisch-deutsches Konsultativtreffen auf Chefebene, besteht seit 1991. Bislang wusste niemand so recht zu sagen, wozu das ganze Unternehmen eigentlich gut sein soll. Es gab sogar Befürchtungen, hier werde auf Kosten der kleineren Mitglieder der EU an einer Achse gebastelt. Eine grundlose Angst, wie sich mit dem Irakkrieg gezeigt hat. Statt einer Achse gibt es heute deren zwei, und die sind auch noch über Kreuz.

Nun scheint es, als ob zu guter Letzt dem Weimarer Dreieck doch noch Bedeutung zuwachsen könnte – als Reparaturwerkstatt. Das Treffen in Breslau böte eine gute Gelegenheit, nicht den Mund zu halten, sondern ihn aufzumachen. Für Chirac und Schröder wäre es an der Zeit, ihre paternalistische Attitüde gegenüber Polen abzulegen, aufzuhören, die beleidigte Leberwurst zu spielen, weil Polen so undankbar angesichts erwiesener Wohltaten ist, und zur Kenntnis zu nehmen, dass es wie in der alten auch in der erweiterten Union unterschiedliche Interessen gibt und geben wird.

Diese Interessen gilt es zu artikulieren. Und hier liegt das große Defizit der polnischen Politik. Sie muss endlich klar sagen, welches Europa sie eigentlich will, zu welchen Einschränkungen nationaler Souveränität sie bereit ist. Akzeptiert sie wirklich die Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik? Und grundsätzlicher: Wohin soll die Reise gehen, mehr in Richtung einer europäischen Föderation oder zurück ins Europa der Vaterländer? Bislang haben die politischen Eliten in Polen es sorgfältig vermieden, hier Position zu beziehen, geschweige denn, ihrer Bevölkerung klare Alternativen aufzuzeigen. In der polnischen Debatte überwiegt das ökonomische Nutzenkalkül.

Polen muss die Befürchtung entkräften, in der EU nur als Annex der USA zu wirken. Auf welche Seite will es sich beim Streit mit der Bush-Administration schlagen, wenn es um grundlegende Fragen wie die Rolle der UNO und die Bedeutung internationaler Abkommen geht? Das Bekenntnis zur transatlantischen Wertegemeinschaft hilft überhaupt nichts angesichts realer Interessengegensätze und deren Widerspiegelung in unterschiedlichen Strategien.

Deshalb kann Polen nur ausgleichen, wenn es sich zuvor positioniert hat. Es reicht nicht, wenn Polens Präsident Kwaśniewski jetzt mit Colin Powell – frei nach Doris Day – im Duett „Que era, era“ anstimmt. Was im Irak geschehen ist, ist in der Tat geschehen. Aber es hatte seine Gründe. Über die muss geredet werden. CHRISTIAN SEMLER