: Historisches Missverständnis
Am Samstag durften mal wieder die Werder-Fans feiern. Mit 1:0 siegte die Schaaf-Truppe beim VfB Stuttgart. Die Fans pflegen ihre unbegründete Antipathie weiter – wie einen Rosengarten
taz ■ Die Geschichte des Spiels ist schnell erzählt. Werder, in der Defensive hervorragend gestaffelt, beschränkte sich weitgehend auf Spielzerstörung, den Schwaben fehlte ein durchdachtes Offensivspiel. Hätte nicht Stuttgarts Rui Marques eine Flanke von Ludovic Magnin ins eigene Tor gespitzelt, wäre die Partie wohl beim Stande von 0:0 abgepfiffen worden.
Also hatten die Fans genug Gelegenheit, sich mit anderen Dingen zu befassen. Da im Stuttgarter Gemeinderat die Entscheidung ansteht, ob das Gottlieb-Daimler-Stadion zu einer Fußballarena umgebaut wird, skandierten die VfB-Fans Mitte der ersten Halbzeit „Wir woll’n ein reines Fußballstadion.“ Und die Norddeutschen beschäftigten sich mehr mit dem Gegner („Und ihr wollt in die Champions-League?“) oder der Vergangenheit („Scheiß Felix Magath“ – Stuttgarts Trainer war 1999 an der Weser beschäftigt gewesen) als mit der eigenen Mannschaft.
Nichts Ungewöhnliches, gehört die Beschimpfung des Gegners schon immer genauso zum Stadiongesang wie der Torjubel. Dennoch: Werder und der VfB pflegen ihre Antipathie wie einen Rosengarten. Dabei beruht diese auf einem historischen Missverständnis. Am letzten Spieltag der Saison 1985/86 musste Werder, nachdem Michael Kutzop am vorletzten Spieltag gegen die Bayern den entscheidenden Elfmeter verschossen hatte, zum Saisonfinale in Stuttgart antreten. Ein Punkt hätte genügt, und Bremen wäre zum zweiten Male Deutscher Meister geworden. Statt wie ein Meisterschaftskandidat zu spielen, bettelte Bremen förmlich um Gegentore, so dass dem VfB, der für den UEFA-Cup bereits qualifiziert war, nichts anderes überblieb, als mit 2:1 zu gewinnen – und Bayern wurde Meister. Noch Jahre später wurde der VfB im Weser-Stadion als die Mannschaft begrüßt, die Bremen die Meisterschaft geklaut habe.
Dabei waren die VfB-Fans in diesem Spiel die größten Werder-Fans. Im A-Block, dem Stuttgarter Pendant zur Bremer Ostkurve, waren die Sympathien eindeutig zu Gunsten von Werder verteilt. Wer wollte schon, dass Bayern Meister wird? Und so kam nach dem 1:0 durch Karl Allgöwer auch keine allgemeine Freude auf. Im Gegenteil: VfB- Fans, die dennoch jubelten, schlägerten sich mit VfB-Fans, die die Niederlage des eigenen Teams wünschten. Erst als Bremen keinerlei Gegenwehr zeigte, kippte die Stimmung.
Wer Meister werden will, muss sich dies auch auf dem Platz verdienen. Als Manfred Burgsmüller zehn Minuten vor Ende der regulären Spielzeit den Anschlusstreffer erzielte – Allgöwer hatte erneut kurz nach der Halbzeitpause auf 2:0 für den VfB erhöht – waren es die VfB-Fans, die nun Werder anfeuerten. Leider ohne Erfolg.
Weder Stuttgart noch weniger die VfB-Fans haben Werder die Meisterschaft geklaut, sondern das Unvermögen der eigenen Mannschaft. Dies ist nicht der Stoff, auf dem Fanfeindschaften aufgebaut werden können. Zudem Werder mit einem 3:0 beim VfB am letzten Spieltag der Saison 1993 alles besser machte und vor den Bayern Meister wurde.
Schließlich verbindet beide Vereine mehr als sie trennt. Längst gehören sie zum Inventar der Bundesliga , irgendwo zwischen den ganz Großen und den kleinen grauen Mäusen. Wenn es gut läuft, spielt man um die internationalen Plätze, manchmal sogar um die Meisterschaft, sonst droht das Mittelfeld. Beide Teams müssen aus finanziellen Gründen auf den Nachwuchs setzen und Jahr für Jahr ihre besten Spieler an die Großen der Liga abgeben. Vor den Toren Stuttgarts, in Tübingens schönster Fußballkneipe, dem „Bären“ mitten im Herzen der Altstadt, hat man diese Gemeinsamkeiten längst erkannt. Viele der treuesten Kunden sind VfB-Fans, der Wirt dagegen eingefleischter Bremer. Eine durchaus angenehme Kombination. Ulrich Narr
Der Autor (29) arbeitet für die Grünen im Landtag von Baden-Württemberg, war 1983 das erste Mal im damaligen Neckarstadion und ist seit vielen Jahren Dauerkartenbesitzer auf den Stehplatzrängen des VfB Stuttgart.