Brücken bauen zwischen Täter und Opfer

Der Täter-Opfer-Ausgleich ist ein kompliziertes Geschäft, dem sich in Bremen acht Hauptamtliche widmen. Wie ihre Arbeit und ihre Erfolge aussehen können, das schilderte auf einer Fachtagung die Bremer Supervisorin Elke Bindrich am eher ungewöhnlichen Fall von „Sabine und Manuel“

taz ■ Der Jugendrichter war empört: „Seit wann kommen Delikte wie versuchte Vergewaltigung zum Täter-Opfer-Ausgleich?“ Es sei doch eine Zumutung, dass Opfer und Täter sich begegnen sollten, hallte seine Stimme vergangene Woche über 150 Köpfe von PädagogInnen, SozialarbeiterInnen, JuristInnen und PsychologInnen im Bürgerhaus Vegesack hinweg.

Dem Gefühlsausbruch des Richters war ein Bericht über die Arbeit des Bremer Täter-Opfer-Ausgleichs anlässlich einer mehrtägigen Fachkonferenz in Bremen vorausgegangen. Dabei hatte die Bremer Supervisorin Elke Bindrich mit dem Fall „Sabine und Manuel“ deutlich gemacht, wie schmal oft der Grat ist, der zwischen Schlichtung und Therapie liegt. Wie kompliziert die Verstrickungen der als Täter und Opfer Beteiligten sein können – und wie langwierig der Prozess einer „heilenden Wiedergutmachung“, falls er den acht haupt- und zahlreichen ehrenamtlichen MitarbeiterInnen überhaupt gelingt.

Um es vorwegzunehmen: Die deprimierende Täter-Opfer-Beziehung nach der versuchten Vergewaltigung, dem „Fall Sabine und Manuel“, konnte gekappt werden. Die 17-jährige Sabine, die den gleichaltrigen Mitschüler Manuel angezeigt hatte, nachdem der sie bei einem privaten Besuch in die Brust gebissen, sich auf sie gelegt und sexuell bedrängt hatte, war nach rund fünf Sitzungen beim Täter-Opfer-Ausgleich ihre Alpträume fast los. Ihr Schuldgefühl war geschrumpft. Ebenso die Angst vor Manuel, der unter Freunden schon vor der Tat durch gesteigerte Agressivität aufgefallen war. „Sabine wird wohl bald eine Therapie beginnen“, schloss Elke Bindrich ihren Vortrag. Die Supervisorin hatte erkannt, dass Sabine möglicherweise schon früher Opfer sexueller Gewalt war – und sich deshalb nicht gegen Manuel wehren und auch nicht die in der Wohnung anwesende Mutter um Hilfe rufen konnte.

Dass Sabine und Manuel sich während der mehrmonatigen Schlichtung trafen, sei von beiden erwünscht gewesen, betonte Bindrich. „Ohne ein solches Einverständnis begegnen sich Opfer und Täter nicht“, stellte die Diplompsychologin und Psychiaterin klar. Voraussetzung für den Täter-Opfer-Ausgleich sei nach wie vor auch das Schuldeingeständnis des Täters.

Aus der Sicht der Fachfrau hatte Manuel sich zwar nicht als Vergewaltiger bezichtigt. Aber er hatte den Tathergang identisch wie Sabine geschildert. Dass er eine Art Missverständnis in seinem beängstigenden Verhalten sehen wollte, sein Opfer aber eine versuchte Vergewaltigung, sei Ausgangspunkt klärender Einzelgespräche mit Täter und Opfer gewesen. Die Tat habe bei beiden tiefer liegende Konflikte zutage gefördert, die – ebenso bei beiden – Krisen hervorriefen. Angst habe Täter und Opfer nach dem Vorfall verbunden, so die Psychologin. Sabine erlebte beängstigende Depressionen und Selbstvorwürfe. Der mit agressiven Ausfällen vorbelastete Manuel fürchtete das Stigma eines Vergewaltigers.

Am Ende verwundert es nicht, dass Sabine einräumte: Wäre die Polizei nicht gewesen, hätte sie selbst wohl von sexueller Belästigung gesprochen – nicht von versuchter Vergewaltigung. Aber es klingt nicht wie Beschwichtigung. Es klingt vielmehr, als habe die junge Frau einen Reifeprozess durchlaufen und Mut geschöpft, das Erlebte anders zu bewerten, dabei die eigene Verstrickung zu sehen und trotz Strafanzeige zu neuen Schlüssen für sich selbst zu kommen – ohne dabei den Täter zu entlasten.

An ihn stellte die junge Frau zum Abschluss des Täter-Opfer-Ausgleichs klare Bedingungen, die der Jugendrichter anerkannte. Manuel muss 750 Euro an „Schattenriss“, eine Einrichtung für Missbrauchsopfer, zahlen. Auch wurde er zu zehn weiteren Sitzungen beim Täter-Opfer-Ausgleich verpflichtet, wo er zuletzt nur noch sporadisch erschienen war.

Für den Erfolg von Täter-Opfer-Ausgleich ist Manuels weitere Entwicklung weniger relevant. Dennoch ist sein Schicksal den MitarbeiterInnen nicht egal. Denn die Voraussetzung für gelungenen Täter-Opfer-Ausgleich ist, dass sie die Gefühle und die Dynamik zwischen beiden verstehen. „Nur dann können sie eine Brücke bauen und eine heilende Wiedergutmachung erreichen“, so Bindrich.

Für Sabine ist das gelungen. Sie hat unter das Erlebnis mit Manuel einen Schlussstrich gezogen. Es sei zu wünschen, dass auch der junge Mann sich seiner Gewalttätigkeit stellen könne, so die Psychologin. Noch sei er jung und könne vielleicht lernen, sie in Zukunft zu vermeiden.

Manuel ist zwischenzeitlich mit der Axt auf seinen Vater losgegangen. Der hat den Sohn angezeigt. ede