die dose als kriegsgewinnler von RALF SOTSCHECK:
Man kann ja nie wissen. Zwar haben die USA und Großbritannien den Irakkrieg gewonnen, aber möglicherweise gibt es ein paar Leute, die sich dafür rächen möchten. Vielleicht kann man die Massenvernichtungswaffen im Irak nicht finden, weil sie längst nach Britannien ausgelagert sind? Die Regierung in London rechnet jedenfalls fest mit terroristischen Anschlägen. Das Innenministerium hat der Bevölkerung daher empfohlen, Batterien, Taschenlampen, Campingkocher und Wolldecken einzulagern sowie unverderbliche Lebensmittel zu hamstern. So feiert die Dose nun die dramatischste Wiederauferstehung seit Bobby Ewing in „Dallas“.
Selbst in Großbritannien, dem kulinarischen Entwicklungsland, war die Dose zuletzt verpönt. Stattdessen bevorzugten die Briten tiefgekühlte Fertiggerichte. Was aber, wenn die Terroristen die Stromversorgung lahm legen? Dann sind Shepherd’s Pie und schlaffe Würstchen, die englischen Nationalgerichte, im Nu hinüber. Das kann mit Dosen nicht passieren.
Die Boulevardblätter beschwören den „wartime spirit“, der dem Land durch den Zweiten Weltkrieg geholfen hat. Christine Frederick schrieb 1929 in ihrem Buch „Frau Konsumentin“ triumphierend: „Die moderne Hausfrau ist nicht mehr länger eine Köchin, sondern ein Dosenöffner.“
Viele Zeitungen haben ihre eigene Liste für Notrationen aufgestellt. Auf keiner fehlen gebackene Bohnen, weiße Bohnen und Chili-Bohnen. Und Atemschutzmasken? Eine Zeitschrift für gehobenere Ansprüche mahnt, man möge keinesfalls Artischockenherzen und Gänseleberpastete für das Sandwich vergessen. Und vor allem Spargel. Der sei gut gegen einen Kater, falls man im Luftschutzkeller eine Party feiert. Denn auf ihr Lieblingsgetränk müssen die Briten auch im Notfall nicht verzichten: Warmes, dünnes Bier schmeckt im Bunker nicht schlechter als im Wirtshaus.
Der Guardian hat sogar ein komplettes Bunker-Menü veröffentlicht. Der Gourmet Matthew Fort schreibt, es gebe keinen Grund, auf eine anständige Mahlzeit zu verzichten, nur weil kein frischer Koriander und kein Rucola-Salat zur Verfügung stehen. Fort hatte offenbar eine schreckliche Kindheit. Er freut sich allen Ernstes auf das Spezialgericht seiner Mutter: Spam mit Gewürznelken und Melasse im Ofen gebacken. Spam besteht aus den Resten, die im Schlachthaus zusammengefegt, in rechteckige Form gepresst und in eine Dose gezwängt werden. Fort empfiehlt auch einen Eimer Gänseschmalz. Darin könne man sogar ein Telefonbuch kochen und es genießbar machen.
Weitere Tips für schmackhafte Bunkerspeisen bekommt man vom Dosenfutterverband. Die „Canned Food Alliance“ hat eine Website mit den besten Dosenrezepten eingerichtet – zum Beispiel Choucroute Garnie, falls man Dosen mit Tomaten, Sauerkraut und Frankfurter Würstchen gehortet hat. Die Zubereitung sei ein Kinderspiel. Es kann aber sein, dass die Briten im Ernstfall dennoch verhungern. Das Innenministerium hat auf seiner Liste den Dosenöffner vergessen.
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