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Archiv-Artikel

Wirtschaft will bessere Hauptschüler

Die Kultusminister wollen die Bildungsstandards für den Hauptschulabschluss nach Protesten doch nicht senken. Die Wirtschaft aber möchte mehr: Sie stellt immer höhere Anforderungen an ihre Auszubildenden, die allerdings immer weniger können

BILDUNGSSTANDARDS

Bildungsstandards: Sie definieren, was Schüler in Deutsch, Fremdsprachen, Mathematik und Naturwissenschaften beherrschen sollten. Die Kultusminis- ter einigten sich im Jahr 2004, solche Standards bundesweit für Grundschüler, Abiturienten, Mittelschüler und Hauptschüler einzuführen.

VERA: Ab dem kommenden Jahr, so die Pläne, sollen Sechst- und Achtklässler regelmäßig Vergleichsarbeiten schreiben (VERA), die dokumentieren, ob die Standards erreicht werden und wo Nachholbedarf besteht.

Pisa: Internationale Schülerleistungsvergleiche, wie die aktuelle Pisa-Studie, haben gezeigt, dass viele Hauptschüler gegen Ende ihrer Schullaufbahn nur auf Grundschulniveau lesen und rechnen können. In Baden-Württemberg etwa gilt mehr als die Hälfte der Hauptschüler beim Lesen als Risikoschüler. Das heißt, die Schüler verstehen zwar die Wörter, aber nicht den Sinn der Texte. ALE

VON ANNA LEHMANN

Zum Beispiel der Automechaniker: früher ein Schrauber und Bastler, der mit Werkzeugen hantierte. „Heute steht nicht mehr der Ölwechsel im Vordergrund, sondern der Umgang mit Datenbanken und Messgeräten“, erläutert Friedrich Hubert Esser vom Zentralverband des Deutschen Handwerks. Er leitete die Abteilung berufliche Bildung. Den klassischen Kfz-Mechaniker gebe es nicht mehr, der Ausbildungsberuf heiße MechatronikerIn, eine Kombination aus MechanikerIn und ElektronikerIn.

„Es heißt ja, jeder Mittelklassewagen habe heute mehr Elektronik an Bord als seinerzeit die Mondlandefähre Apollo 11“, meint Esser. Die Anforderungen an die Ausbildung seien dementsprechend gestiegen. Angesichts sinkender Schulabgängerzahlen müsste die Qualität der AbsolventInnen daher gesteigert werden, auch in der Hauptschule, fordert er im Namen des Handwerks.

Die Verantwortlichen für die schulische Bildung, die KultusministerInnen, planten das Gegenteil. Sie wollten HauptschülerInnen von den allgemeinen Bildungsstandards abkoppeln, was heftige Proteste auslöste. Auf ihrer Konferenz am Donnerstag ruderten sie zurück: „Das Anspruchsniveau der Bildungsstandards auf denen die Tests beruhen, wird nicht verändert“, vermeldeten sie am Abend.

Anlass für die Überlegungen der Kultusminister waren Warnungen des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, das die Standards überprüft. Jeder vierte Hauptschüler könnte das Mindestniveau in Englisch und Rechnen verfehlen, warnten die ForscherInnen. Daraufhin entstand die Idee, einfach die Standards zu senken.

Die Wirtschaft reagierte daraufhin alarmiert: „Wir verstehen diese Fächerstandards als Grundvoraussetzungen für eine Ausbildung“, sagt Berit Heintz, Bildungsfachfrau beim Deutschen Industrie und Handelskammertag (DIHK). Sie abzusenken hieße, die Chancen für Hauptschüler zu senken.

Um diese steht es sowieso nicht gut. In ihrem nationalen Bildungsbericht dokumentierten die Kultusminister im Sommer, dass nur noch 40 Prozent der rund 240.000 HauptschulabsolventInnen direkt nach der Schule eine Lehrstelle findet. Im industriell-technischen Bereich etwa, früher ein klassisches Berufsfeld für HauptschülerInnen, war im vergangenen Jahr nur jeder fünfte neue Azubi Absolvent dieser Schulform. Das zeigen Statistiken des DIHK.

Die Schuld für die geringen Chancen sieht die Wirtschaft bei den Hauptschülern selbst. „Die Unternehmen klagen, dass die Bewerber keine ausreichenden Grundkenntnisse mitbringen“, berichtet Heintz. Sie verweist auf eine Langzeitbeobachtung des Chemiekonzerns BASF.

Seit 1975 zeigt sich ein kontinuierlicher Abwärtstrend bei den Ergebnissen der Eingangstests für Ausbildungsbewerber. Lösten im Jahre 1975 noch drei Viertel der HauptschülerInnen die gestellten Rechenaufgaben korrekt, war es 29 Jahre später nur noch die Hälfte. Den Rechtschreibtest bestand noch ein Drittel der Hauptschüler.

In Mathematik erwarten Unternehmen von ihren BewerberInnen, dass diese neben Grundrechenarten auch den Dreisatz beherrschen, mit Dezimalzahlen umgehen und Flächen berechnen können. Neben Defiziten in diesen Feldern würde es den Jugendlichen oft auch an sozialen Kompetenzen mangeln, berichtet Heintz. So scheiterten viele bereits daran, Sprache „situationsgerecht“ anzuwenden, das heißt, sich im Betrieb anders auszudrücken als etwa in der Schule. „Wenn Hauptschüler diese Basics beherrschen, dann wäre ihnen schon sehr geholfen.“