Sparen, weil er sparen wollte

Wir wollten doch nur das Beste: unserem tugendhaften Sinnstifter Hans Eichel nacheifern. Was nun?

BERLIN taz ■ Früher galten Sozialdemokraten als bedenkenlose Staatsverschulder. Diesen üblen Ruf verkehrte Bundesfinanzminister Hans Eichel in sein Gegenteil. Zeit seiner Amtsgeschäfte legte er uns dar, dass die Erhöhung der Staatsschuld mit dem Postulat sozialer Gerechtigkeit unvereinbar sei; erstens befördere sie die Umverteilung von unten nach oben, gehörten doch die Eigner von Staatsschuldverschreibungen den betuchten Schichten an. Und zweitens enge die Staatsschuld die Möglichkeit künftiger Generationen ein, Politik nach eigenem Gusto zu gestalten. Mithin erzwängen die Verteilungs- wie die Generationengerechtigkeit den strikten Sparkurs.

Eichel war also nicht etwa das Sinnbild eines fischblütigen Finanzbürokraten, der sich gegen das Schuldenmachen stemmte, weil er einfach nicht anders konnte. Nein, er war ein innovativer Sinnstifter. Wo er auftrat, verbreitete er die Aura streitbarer moralischer Autorität. Sein ums Gemeinwohl ewig besorgter Hausvaterblick bestärkte uns in der Haltung, jetzt aber Schluss zu machen mit verschwenderischen Anschaffungen, überhöhten Trinkgeldern, sinnlosen Anwandlungen von Spendenbereitschaft. Wir sparten, weil er sparen wollte. Indem wir aber seinem tugendhaften Vorbild nacheiferten, indem wir privates und Staatshandeln in harmonischen Einklang brachten, vergingen wir uns an der Konjunktur. Wir wollten das Beste, schwächten aber zum Schaden der Ökonomie die Inlandsnachfrage.

Na gut, jetzt andersherum, aber leider ohne Eichel. Der ist in seinem Habitus eingekerkert, eine lebende Pathosformel des heroischen Ausgabenverzichts. Das bunte Kleid erneuter Staatsverschuldung kann er sich nicht überziehen – bei Strafe der Selbstverleugnung. Aber Schröder, das Chamäleon, wird’s schon richten. CHRISTIAN SEMLER