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Archiv-Artikel

Mit Witz, Charme und Schnauzer

AUS MANDALAY SVEN HANSEN

Wieder einmal ist der Strom ausgefallen. Das Viertel ist stockdunkel. Die wenigen Straßenschilder sind selbst mit der Taschenlampe nicht zu entziffern. Dabei kann die 39. Straße eigentlich nicht mehr weit sein. Dort, im südlichen Zentrum der alten birmesischen Königsstadt Mandalay, geben die Moustache Brothers jeden Abend eine Privataufführung in ihrem Haus. Touristen gehen trotz der Finsternis nicht verloren. Ein alter Mann weist lächelnd den Weg, noch bevor er gefragt wird. Denn wer sich als Reisender hierher verirrt, kann nur ein Ziel haben. Die Moustache Brothers. Die kennt hier jeder.

Zur Straße hin ist das einfache Holzhaus der Schnauzbart-Brüder offen. Gäste werden hereingewinkt und bekommen Tee angeboten. Das Theater ist nicht größer als eine Garage. Statt einer Bühne liegt ein roter Teppich im Raum, wenige Plastikstühle stehen drum herum. Eine Wand ist voller Marionetten, zwei andere voll Fotos der Gruppe und der Lady. So nennen die Birmesen die Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi. Ihr Foto ist sonst heute nirgendwo im Land zu sehen. 1990 gewann ihre Partei die Wahlen, sie wird aber seitdem vom Militär an der Machtübernahme gehindert. Seit 1962 regieren Generäle das südostasiatische Land, seit 1978 die jetzige Junta. Suu Kyi steht zurzeit wieder unter Hausarrest.

Die Brüder Par Par Lay und Lu Maw und ihr Vetter Lu Zaw sind die Moustache Brothers – eine A-Nyeint-Gruppe. Als klassische Form des birmesischen Varietés vereint A-Nyeint Musik, traditionellen Tanz, Drama und Komödie. Die drei treten seit 30 Jahren als Komödianten auf. Früher reisten sie mit mehr als 20 Tänzerinnen, Musikern und Roadies – oft Mitglieder des Familienclans – monatelang durchs Land. Sie spielten bei Taufen, Hochzeitsfeiern, Tempelfesten und Beerdigungen ganze Nächte lang.

Spitzel im Publikum

„Seit 1996 können wir nur noch hier im Haus auftreten“, sagt Lu Maw, während hinter dem Gebäude ein Generator dröhnt. Der drahtige 54-Jährige spricht als Einziger der Familie Englisch. 1996 war in Birma, das die Militärjunta in Myanmar umtaufte, das „Visit Myanmar year“. Damit wollten die Generäle massiv Touristen anlocken. Das gelang nicht. Stattdessen wurde das Touristenjahr zum Wendepunkt für die Moustache Brothers.

„Am 4. Januar 1996 sollten wir in Rangun zum Unabhängigkeitstag auftreten“, erzählt Lu Maw. Geladen hatte die Nationale Liga für Demokratie (NLD), die Partei Suu Kyis. Die war selbst erst wenige Monate zuvor aus jahrelangem Hausarrest entlassen worden. Auch Par Par Lay saß 1989 fast ein Jahr im Gefängnis, weil die Militärs über einen Witz überhaupt nicht lachen konnten. Die Moustache Brothers wollten sich nicht einschüchtern lassen, blieben aber vorsichtig. „Wir sind Kämpfer“, sagt Lu Maw, ballt die Fäuste und geht lachend in Boxstellung. „Auf mich fiel das Los, mit einem Teil der Familie in Mandalay zu bleiben.“ In Rangun scherzten dann Par Par Lay und Lu Zaw über Stromausfälle, Zwangsarbeit und die Schulmisere. Unter den 2.000 Zuschauern waren neben Diplomaten auch Spitzel des Militärs.

Kaum waren die zwei Brüder zurück in Mandalay, wurde die ganze Familie verhaftet. Vierzehn Tage lang wurde sie verhört und geschlagen. Dann ließ man sie frei – bis auf Par Par Lay und Lu Zaw. Die wurden wegen „bewusster Verbreitung unwahrer Nachrichten“ zu sieben Jahren Arbeitslager verurteilt. Suu Kyi, die als Entlastungszeugin aussagen wollte, durfte nicht nach Mandalay reisen.

Im Arbeitslager mussten die beiden Komödianten an Eisenstangen gekettet Steine klopfen und sind bald krank geworden. Dank einer Kampagne von amnesty international gab es dann Hafterleichterungen. Par Par Lay und Lu Zaw wurden nach zwei Monaten in reguläre Gefängnisse überstellt, dort aber isoliert. „Wir anderen hatten Auftrittsverbot. Um die Familie durchzubringen, begannen wir in unserem Haus vor Touristen zu spielen“, erzählt Lu Maw. Kontakte zu Reisenden habe er bereits in den 70er-Jahren entwickelt und so auch Englisch gelernt. „Ich erkläre ihnen unsere Kultur und Tradition und zugleich die Lage in Birma“, sagt er verschmitzt.

Touristen wurden Einkommensquelle, Beschützer und Propagandisten der Familie. 1997 gelangte ein Foto von Lu Maws Frau Ni Ni Lin, einer Tänzerin, sogar auf den Titel eines Reiseführers. Wegen internationalen Drucks wurden Par Par Lay und Lu Zaw schließlich im Juli 2001 nach fünfeinhalb Jahren freigelassen. „In der 39. Straße gab es ein großes Fest“, erinnert sich Lu Maw. Wieder vereint spielten die Moustache Brothers sofort vor Nachbarn, Freunden, Touristen – und wieder vor zahlreichen Militärspitzeln.

„Par Par Lay musste danach bei Mandalays Militärchef unterschreiben, nie wieder vor Touristen zu spielen“, erzählt Lu Maw, „sonst würde die ganze Familie verhaftet.“ Doch als Par Par Lay vom Militärchef zurückkehrte, warteten in der 39. Straße schon wieder zwei Touristengruppen. Die Moustache Brothers erkannten die Chance. „Wir traten zuerst ohne Schminke und Kostüme auf und sagten: ‚Wir demonstrieren ja nur, wie wir spielen würden, wenn wir dürften‘“, lacht Lu Maw. „Außerdem spielen wir nicht den ganzen Abend, sondern nur eine Stunde. Die Touristen werden schnell müde.“

Die Militärs wagten nicht einzugreifen. Längst schminkt sich die ganze Gruppe wieder und zieht auch Kostüme an. Das Militär schicke zwar immer wieder Spitzel vorbei, wage aber nicht das Totalverbot durchzusetzen, sagt Lu Maw. „Touristen und internationale Medien schützen unsere Familie.“

Die abendliche Vorstellung ist immer noch eine A-Nyeint-Demonstration und keine richtige Aufführung. Heute sind 16 Touristen aus den Niederlanden, Frankreich, der Schweiz, Deutschland und den USA gekommen. Mehr passen auch nicht ins Haus. Lu Maw führt auf Englisch durch das Programm. Um die Tänze abzukürzen, hat er ein bebildertes Tanzlehrbuch dabei. Die Touristen zeigen auf ein Bild und Ni Ni Lin tanzt eine Szene, die sie genau in der auf dem Bild gezeigten Pose beendet. Ihr Können wird deutlich, aber auch, dass sie ihr Potenzial nicht ausschöpfen kann. Auf die Touristen wirkten die Tänze exotisch bis befremdlich.

Die trojanischen Pferde

Manche Witze wirken bemüht. „Sie sind erstaunlich zahm“, urteilt ein niederländischer Tourist. Lu Maw erzählt mit einem Polizeihelm auf dem Kopf, Polizisten würden im Volksmund „Spendenbüchsen“ genannt. „Sie wollen immer Geld haben“, sagt er und nimmt den Helm in die Hand und hält ihn fordernd ins Publikum. Später lästert er über Stromausfälle, die Militärs und ihre Spitzel, die er als KGB bezeichnet. Lachend posieren die drei Komödianten am Ende der Aufführung vor einem Schild mit der Aufschrift „Moustache Brothers unter Überwachung“.

Als Aung San Suu Kyi im Juli 2002 in Mandalay bei der Gruppe vorbeischaute, waren Touristen erstmals wieder in der Unterzahl. Die 39. Straße war voller Einheimischer. Die Brüder unterstützen Suu Kyis Kampf für Freiheit und Demokratie. Doch während die Lady Touristen zum Boykott aufruft, fordern die Moustache Brothers das Gegenteil.

„Touristen sind wie trojanische Pferde“, sagt Lu Maw. So sei die Zwangsarbeit in den Gräben um Mandalays Königspalast, der eine Touristenattraktion ist, erst eingestellt worden, nachdem Reisende kritisch darüber berichtet hatten. Und als Suu Kyis Autokonvoi im Mai 2003 bei Monywra von Schlägertrupps des Regimes angegriffen wurde, seien Touristen wichtige Zeugen gewesen. An die trauen sich die Militärs kaum ran. Lu Maw lacht: „Kommen die Soldaten, verschwinden wir hinterm Haus im Dunkeln. Die können dann nur euch Touristen hier verhaften.“