: Pro Reli pfeift auf Ethik beim Sammeln
Die Klagen darüber, mit welchen Methoden die Vertreter des Volksbegehrens für das Wahlpflichtfach Religion Unterschriften sammeln, mehren sich. Sogar in S-Bahnen wurden Sammler gesichtet. Erlaubt ist das nicht
Morgens halb zehn in der S-Bahn von Wannsee zum Potsdamer Platz. Die Türen schließen, eine Stimme erhebt sich über die Mischung aus Gekrame, dumpfem Gedudel aus Kopfhörern und Gesprächen. „Guten Morgen, entschuldigen Sie die Störung…“ Doch wer da spricht, ist kein weiterer Verkäufer der Obdachlosenmagazine Motz oder Straßenfeger. Der knapp 40-jährige Mann erzählt von der Initiative Pro Reli, die Religionsunterricht als Wahlpflichtfach für Berliner Oberschulen durchsetzen will. Er kritisiert die angeblich religionsfeindliche Politik des Senats – und wirbt dann um Unterschriften für das von der Initiative angestrebte Volksbegehren.
Erst kürzlich hatte Pro Reli neue Wege bei der Unterschriftensammlung angekündigt. Doch dieser führt in eine Sackgasse: Solche Aktivitäten seien verboten, sagte S-Bahn-Sprecher Ingo Priegnitz der taz. In Paragraf 4 der Beförderungsbestimmungen heiße es: „Fahrgästen ist es insbesondere untersagt, in den Verkehrsmitteln (…) Druckschriften zu verteilen, zu betteln, zu sammeln, zu werben oder mit dem Ziel des Gelderwerbs Schau- oder Darstellungen zu tätigen.“ Im Klartext: Pro-Reli-Werber sind in der S-Bahn genauso unberechtigt unterwegs wie Straßenmagazin-Verkäufer oder Musiker. „Völlig egal, ob es sich um ein hehres Anliegen handelt oder nicht“, sagt Priegnitz.
Sinn der Bestimmung sei, einen neutralen Raum zu schaffen, in dem Fahrgäste vor möglichen Beeinträchtigungen geschützt sind, denen sie in der fahrenden S-Bahn schlecht entkommen könnten. Man werde sich auf den Hinweis der taz hin an Pro Reli wenden, für entsprechende Aufklärung sorgen und auf die Folgen im Wiederholungsfall verweisen, sagte der S-Bahn-Sprecher. Wer gegen die Bestimmung verstößt, wird laut Priegnitz erst auf die Bestimmungen hingewiesen, im nächsten Schritt verwarnt. Im Wiederholungsfall werde Hausverbot erteilt.
Pro Reli selbst weist die Verantwortung von sich. „Wir schicken niemanden in die Spur, in der S-Bahn zu werben“, sagt die Sprecherin der Initiative, Julia Sebastian. Jeder könne sich deren Listen aus dem Internet laden und damit Unterschriften sammeln – was prinzipiell im Interesse der Initiative ist.
Auch eine Werbeaktion für Pro Reli an den Schulen hatte für Unmut gesorgt. Mit Briefen an die Eltern, die im evangelischen und katholischen Religionsunterricht verteilt wurden, waren diese von den Kirchen zur Unterzeichnung des Volksbegehrens Pro Reli und zur Sammlung weiterer Unterschriften ermuntert worden. Das war nicht nur den Vertretern der Gegeninitiave Pro Ethik zu viel Einflussnahme. Pro Ethik setzt sich dafür ein, den Religions- und Ethikunterricht an Berlins Schulen in seiner derzeitigen Form zu erhalten. Das bedeutet: Ethik als Pflichtfach für alle SchülerInnen der siebten und achten Klassen, konfessionsgebundener Religionsunterricht als freiwillige Ergänzung.
Auch aus der Senatsbildungsverwaltung kam Tadel: Da stelle sich die Frage nach der Neutralität der Schule, so deren Sprecher: „Wir halten die Aktion für denkbar unglücklich.“ Die briefliche Werbeaktion sei beendet, so Heike Krohn, Sprecherin der Evangelischen Kirche, zur taz. Mit der Kritik habe das nichts zu tun: „Wir denken, Eltern haben ein Recht auf Information. Und die haben wir ihnen geliefert.“
Stefan Alberti, Alke Wierth