Schwedens Arbeitgeber begrüßen Streik

50.000 Müllwerker, Polizisten und Pfleger streiken – mit Billigung der Kommunen, die auf Finanzspritzen hoffen

STOCKHOLM taz ■ Wenn einer streikt in Schweden, dann der öffentliche Dienst. Kein Wunder, fallen die Löhne im öffentlichen Sektor doch regelmäßig weit hinter die Gehälter zurück, die im privaten Unternehmen gezahlt werden. Nun versuchen Schwedens Müllwerker, Krankenschwestern und Polizisten seit drei Wochen, ihre Löhne wieder etwas an das übliche Maß anzupassen.

Bislang mussten eine Reihe von Kindergärten und Krankenhausabteilungen vorübergehend dichtmachen, hier und da werden keine Knöllchen mehr unter den Scheibenwischer geklemmt, und vor mancher Recyclingstation türmt sich der Müll. Doch angesichts eine Taktik punktueller Streiks blieb der Arbeitskampf in Schweden bislang eher ein regionales Problem.

Gestern nun verschärften die Gewerkschaften ihren Arbeitskampf: 50.000 Kommunalangestellte in 60 Städten sind in den Streik getreten. Jetzt dürfte die Situation in Krankenhäusern, Kindergärten und Altersheimen kritisch werden. Auch viele Schulen werden bald schließen müssen: Denn Hausmeister, Küchen- und Putzpersonal streiken. Was wiederum viele schwedische Eltern zwingen wird, ebenfalls ihren Arbeitsplätzen fernzubleiben und Kinder zu hüten.

Das ist natürlich Teil der Eskalationsstrategie der Kommunalarbeitergewerkschaft. Doch überraschenderweise kommt das auch den kommunalen Arbeitgebern gelegen. Die bestreiten gar nicht, dass ein großer Teil der Krankenpflegerinnen und der Kindergärtner unterbezahlt ist. Doch die kommunalen Kassen sind genau wie hierzulande schlicht leer.

So haben auch die Kommunen ein Interesse an dem Arbeitskampf: Ein langer und spürbarer Streik soll die Landesregierung in Stockholm dazu bringen, den Kommunen und Provinzverwaltungen so viel Geld zu überweisen, dass endlich vernünftige Gehälter drin sind. Paradoxerweise zeigt sogar Ministerpräsident Göran Persson – man ist ja Sozialdemokrat – vollstes Verständnis für die Gewerkschaftsforderungen. Nur: Mehr Geld habe auch der Staat leider nicht.

Die verfahrene Situation lässt einen langen Streik erwarten. 5,5 Prozent mehr Lohn fordern die Gewerkschaften, dazu einen Mindestlohn von umgerechnet rund 1.500 Euro. Das ist Persson dann doch zu viel. Er fürchtet, Nachahmer in anderen Branchen zu fördern.

Die schwedischen Gewerkschaften hatten sich in den vergangenen Jahren das Etikett erworben, „gesamtwirtschaftliche Verantwortung“ zu zeigen. Trotz blendender Wirtschaftslage hielt man sich mit Lohnforderungen zurück. Mit der Folge, dass Schweden jetzt ein Arbeitskostenniveau hat, das deutlich unter dem deutschen liegt.

Der öffentliche Dienst dürfe jetzt keine neue „Lohnspirale“ in Gang setzten, erklärt die Regierung. Doch nicht nur die notorisch Unterbezahlten wollen dieses Argument nicht schlucken. Auch in der Öffentlichkeit finden die Streikenden großes Verständnis. REINHARD WOLFF