: Kulturelle Kannibalen
Picasso, Chagall, die Surrealisten, ach, ganz Europa sich einverleiben: Der „Modernismo Brasileiro“ war radikal und suchte das „brasilianische Gesicht“. Malerinnen mischten ganz entscheidend mit
VON BRIGITTE WERNEBURG
Das Plakat zur Ausstellung „Modernismo Brasileiro“ wie das Frontispiz des Katalogs ziert das Gemälde einer Künstlerin, nicht eines Künstlers, und schon das könnte man einen starken Beginn nennen. Denn am Anfang des Aufbruchs der brasilianischen Kunst ins 20. Jahrhundert, der nun in einer kleinen, aber feinen Auswahl in der Botschaft des Landes zu sehen ist, mischten Frauen ganz entscheidend mit. Zwei Frauen vor allem, Anita Malfatti, von der „Der Mann der sieben Farben“ das Plakatmotiv lieferte, und Tarsila do Amaral, die mit nur einem Bild in der Ausstellung vertreten ist, einem Bild allerdings, das es in sich hat.
Das 1928 fertig gestellte Gemälde „Der Frosch“ zeigt vor einem sandgelben Hintergrund einen untertunnelten, braunen Berg auf dem grüne Kakteenbäume brav in Reih und Glied aufmarschieren. Obwohl die reiche Erbin einer Kaffeeplantage Anfang der 20er-Jahre in Paris bei André Lhote und Ferdinand Léger studiert hatte, erinnert das Bild eher an Giorgio de Chiricos Pittura Metafisica. Doch statt des antiken Torsos, den jener womöglich dem Rundbogen beigegeben hätte, platziert do Amaral an diese Stelle ganz frech und barbarisch einen liebenswürdigen grünen Frosch. Er mindert nicht die magische Atmosphäre des Bildes, die freilich die einer noch einmal ganz anderen Welt ist. Eben Brasiliens, Südamerikas mit seiner ganz eigenen Natur und Kultur, die „Der Frosch“ so lapidar zum Ausdruck bringt. Treffender hätte das Motto „Lokale Ursprünge – Internationale Ausdrucksformen und Qualitätsmaßstäbe“ von Anita Malfatti, der Pionierin des brasilianischen Aufbruchs in die Moderne, nicht verwirklicht werden können.
Malfatti hatte 1917 mit ihrer Einzelausstellung in São Paulo für Furore gesorgt, denn in ihrem vom deutschen Expressionismus geprägten Malstil brach sie mit der bis dahin in Brasilien noch immer gepflegten Salonmalerei, wie sie im Europa des Fin de Siècle en vogue gewesen war. Die Angriffe auf die Künstlerin schweißte die „Gruppe der Fünf“, in der sich neben Malfatti und do Amaral noch Mário de Andrade, Oswald de Andrade und Menotti Del Picchia zusammengeschlossen hatten, noch enger aneinander.
Sie verwarfen, wie „Der Frosch“ zeigt, keinesfalls den Eklektizismus, freilich radikalisierten sie ihn, indem sie die indigenen und afrikanischen Mythen, die Farben, die Tiere, Pflanzen und Menschen ihres Landes und ihres Kontinents in ihre Bildvorstellungen mit einbrachten. Oswald de Andrade entwickelte dafür in seinem „Anthropophagischen Manifest“ von 1928 das Konzept des kulturellen Kannibalismus. Es ist in den Werken aus den Jahren 1915 bis 1967 nicht schwer zu erkennen, wen die Künstler alles verspeisten. Picasso natürlich, Chagall, die Surrealisten, die Kubisten, die mexikanischen Muralisten und ganz am Anfang noch die deutschen Expressionisten. „Das brasilianische Gesicht“, das zu suchen das erklärte Ziel der Modernen war, in den Werken zu finden, ist eine subtilere Angelegenheit.
Erst in den späteren Werken tritt es deutlicher hervor, weil die Suche nach dem Eigenen ein Prozess war, der seine Zeit brauchte. Emiliano Di Cavalcanti etwa steht mit dem folkloristisch bunten Personal seines „Carnaval“ von 1924 noch unter dem Einfluss von Chagall, während er in „Junge mit dem Hahn spielend“ von 1963 ganz unbeschwert von den Vorgaben der europäischen oder amerikanischen Stilrichtungen eine fast fotografische Alltagsaufnahme liefert.
Eigentlich sollte diese Schau, die aus einer der bedeutendsten Privatsammlungen moderner brasilianischer Kunst, der Stiftung Armando Álvares Penteado, stammt, in das Programm der „American Season“ aufgenommen werden. Denn sie ergänzt das MoMA in Berlin aufs Beste, zumal die New Yorker den lateinamerikanischen Schwerpunkt ihrer Sammlung nicht mitgebracht haben.
Bis 23. April, Brasilianische Botschaft, Wallstr. 57, Mo.–Fr., 9–13, 14–17 Uhr