: Elf Jahre Flausch-Core
Never mind the Jugendhaus – here’s the Molotow: Die Rockband Soulmate kam mal aus Wildeshausen bei Bremen und ist seitdem auf dem Sprung in den Indie-Himmel – zumindest ist sie jetzt im gesamten Norden zu hören
Von Markus Flohr
Eine Musikgruppe, die es seit über zehn Jahren gibt, ist entweder endlos erfolgreich – oder endlos langweilig. Auf Soulmate trifft nichts von beidem zu. Elf Jahre – so lange halten heutzutage die wenigsten Ehen, und schon gar keine loseren Verbindungen.
Für den norddeutschen Sechser könnte es jetzt aber erst so richtig los gehen. Mit dem aktuellen Album Revolving liegt ein Juwel in den Auslagen, einen Hit für die Alternative-Charts haben sie mit „Shining Star“ auch – und die Musikpresse von Spex bis Young Miss ist sich seltsam einig: Jetzt, ja jetzt könnte es klappen, jetzt könnten Soulmate Stars am deutschen Indie-Himmel werden. Oder?
„Uns wurde schon eine Menge erzählt. Ich kann das, ehrlich gesagt, nicht mehr hören“, sagt Sänger Peter Melchers. Euphorie klingt irgendwie anders. „Klar, wir freuen uns unheimlich, dass es im Moment so gut läuft“, sekundiert Bassist Lars Hillrichs. „Wir haben auch das Gefühl, ein wirklich gutes Album gemacht zu haben. Aber wenn es mit dem Riesen-Durchbruch jetzt nichts wird ...“ Gitarrist Jan Spading beendet den Satz: „... dann ist das sicher nichts, was die Existenz der Band in Frage stellt. Ein Maler lässt ja auch nicht einfach den Pinsel fallen, nur weil sich nicht alle Welt um seine Bilder reißt.“ Das große Versprechen des popmusikalischen Traumwäscher-Äther, den sofort möglichen Griff nach allen Sternen, scheinen Soulmate komplett durchschaut zu haben.
Zehn Jahre früher. In einem Örtchen irgendwo im Bremer Speckgürtel ist Rockkonzertabend, natürlich im Jugendzentrum. Der Name der Siedlung ist Harpstedt, könnte aber genauso Syke, Ritterhude oder Wildeshausen sein. Da kommen Soulmate her – oder kamen die Leute her, die das vor zehn Jahren mal waren. Aus der Mitte des Ortes ragt ein Kirchturm, es gibt einige Schulen in der Stadt, ein Freibad, einen kleinen Bahnhof. Und eben das Jugendhaus.
Vor und auf dessen Bühne stehen die Jugendlichen und ringen um die richtigen Töne. Die Role-Models dafür kommen meist aus den großen Städten des Landes oder aus England oder den USA. Punkrock von dort steht gerade hoch im Kurs, viele laufen mit T-Shirts und Pullis von Bad Religion, Pennywise oder NOFX herum und haben bunte Haare. Andere tragen schwarze Sachen, unter ihren dunklen Mähnen stechen Pentagramme, umgedrehte Kreuze und schauerliche Schriftzüge hervor. Einige Teenies haben sich Instrumente gekauft, Bands gegründet, ihnen Namen gegeben, die nach den Könnern klingen sollen: Bad Habits spielen heute, SINM, Execution, Permanent Solution. Und Soulmate.
Auf den Tapeziertisch in der Ecke haben alle ihre Demo-Tapes gelegt, eine Gruppe hat sogar schon eine CD pressen lassen. Auf manchen Tonträgern ist nur der Schriftzug der Urheber zu sehen, andere haben auch beim Artwork ihre Helden nachgeahmt. Oder einfach mit Edding „Demo“ draufgeschrieben. Eins fällt irgendwie aus dem Rahmen: Auf einen Hintergrund in beige wurde ein Bild von Caspar David Friedrich gepackt, die „Ruine Eldena“. Vielleicht war es auch die „Abtei im Eichwald“, auf jeden Fall aber stand darunter Soulmate.
Auf der Bühne hinterlassen sie einen ebenso bleibenden Eindruck. Punk ist das nicht, Metal schon gar nicht, aber auch kein Pop. Rockmusik ist es, mit bratenden Gitarren, mit treibendem Schlagzeug, mit süßen Melodien, mit viel Moll. Peter am Mikro hat ein bittersüßes Timbre in der Stimme. Fast alle finden’s richtig gut. Jahre später wird diese Musik offiziell mehrheitsfähig: Jimmy Eat World und The Get Up Kids sei Dank. „Emo-Scheisse“, raunzt einer mit Lederhose und Kajal in der Augenhöhle. „Nee, Flausch-Core“ witzelt sein Kumpel und angelt nach der Baggy-Jeans in den Tiefen seiner Kniekehle.
Wieder in der Jetzt-Zeit sitzt Peter Melchers, der mit dem Timbre, im bandeigenen Proberaum in Oldenburg und versucht, sich zu erinnern. „Harpstedt, da war doch mal was ...“ Er schaut in die sechsköpfige Runde, ohne Erfolg. Außer ihm war damals noch keiner dabei, das Line-Up von Soulmate hat sich einmal komplett ausgewechselt. Neun verschiedene Menschen waren das schon.
Am längsten ist noch Jan dabei, seit neun Jahren. Wie Martin Albrecht, der zweite Gitarrist, wohnt er mittlerweile in Hamburg. Er ist Grafiker, Martin Student. Alle zwei Wochen fahren fast alle Bandmitglieder einmal quer durch Norddeutschland, um Musik zu machen. Aus Münster kommt Wolfram Felber, auch ein Student, er spielt Orgel und Keyboard. Peter wohnt in Aurich. Nur der Rhythmus geht zu Fuß: Drummer Lars Hillrichs und Bassist Christian Lütje leben in Oldenburg.
Die einzige Konstante ist dieses Ding, das sich Band nennt. Nerven hat es schon viele gekostet. Und Geld. Soulmate sind ein ums andere mal in Vorleistung getreten, haben sich von der Kulturindustrie und ihren Verwertungsagenten ködern lassen, saßen auch mal auf einem kleinen Berg Schulden. Aufnahmen im Studio waren zu teuer, aus Zusagen wurde nichts, Marktstrategien hatten sich geändert – so was hat schon viele andere Bands zerbrechen lassen. „Da geht es eben um Profit“, resümiert Wolfram und zuckt schmal grinsend die Schultern.
Auf der Haben-Seite stehen eine Hand voll Platten, Tourneen mit Ash, Pale oder eben Jimmy Eat World und eine unerschütterliche Gelassenheit. Und das neue Album Revolving. Das ist übrigens richtig gut, und es könnte der Durchbruch für Soulmate sein. Jetzt könnte es richtig los gehen. Indie-Himmel, Alternative-Stars ... aber das ist ja nichts Neues, das haben ihnen auch schon andere erzählt.
Soulmate live im Norden: heute, Osnabrück, Ostbunker; 20. 3., Hannover, Chez Heinz; 27.3. Vechta, Gulfhaus; 28. 3. Lüdenscheid, Alte Druckerei; 31. 3. Oldenburg, Amadeus; 14. 4., Hamburg, Molotow; 7. 5. Flensburg, Kühlhaus; 15. 5. Bremen, Römer