Afrika pur in Tumani Tenda

Pauschaltourismus ist der bequemste Weg in ferne Länder. Aufregender und unbequemer ist der Aufenthalt in einem Eco Tourism Camp, zum Beispiel am Gambia-Fluss. Fünf Rundhütten aus Lehm bieten Besuchern Unterkunft, Archaik inklusive

VON GÜNTER ERMLICH

Happy Hour? Swimmingpool? Klimaanlage? Wer Komfort, gar Luxus sucht, ist im Dorf Tumani Tenda an der falschen Adresse. Wir haben die pauschaltouristische Atlantikküste mit Animation, ihren Bumsters (Beach Boys) und Cocktails hinter uns gelassen, um für zwei Tage in die kleintouristische Gegenwelt hineinzuschnuppern. Das Eco Tourism Camp am Gambia-Fluss, das wir mit Sehouna, unserem gambischen Reiseleiter, besuchen, ist ein Gemeinschaftsprojekt der Dorfbewohner von Tumani Tenda. Fünf Rundhütten aus Lehm bieten 26 Besuchern Unterkunft. Moskitonetze überwölben die Holzbetten, bunte Batikvorhänge zieren die Fenster mit Fliegengittern, Wellblech und Elefantengras bedecken die Hütten. An der Wand krabbelt schon mal ein Käfer oder eine Spinne. Die Toiletten und Duschen sind einfach, aber das Wasser ist warm und kommt vom Tank auf dem Dach. Wer nachts rausmuss, braucht eine Taschenlampe, denn es ist stockdunkel.

Vom Nachtlager führt ein Weg zum „Camp Place“. Das halb offene Restaurant wurde um einen Affenbrotbaum gebaut, zur kleinen Bucht am Seitenarm des Gambia sind es nur ein paar Meter. Muschelmosaike schmücken den Zementfußboden, über dem Tresen hängt eine kleine Weltkugel, Hängematten baumeln in den Fensterhöhlen. Heute Mittag gibt es Lady Fish und Barrakuda, Hühnchen mit Erdnusssoße, viel Reis, grüne, bittere Tomaten und Okras, Maniok und Kartoffeln. Das Essen ist reichlich, frisch und schmackhaft.

Sulayman Sonko führt uns vom Camp zum 500 Meter entfernten Dorfkern. Rechts liegt ein Feld mit Hirsestauden, links eine Weide mit Kühen, vor uns Tumani Tenda im Schatten mächtiger Mangobäume. Sulayman ist Mitte dreißig, spricht fließend Englisch und Französisch und hat „ungefähr 15 Brüder und 10 Schwestern, von einem Vater mit zwei Frauen“. Nachdem er Wirtschaftswissenschaften in Dakar und Bordeaux studiert hatte, kam er nach Gambia zurück. Jetzt leitet er das Camp und managt die Projekte. Auf dem Weg ins Dorf bringt er uns ein paar Brocken Jola bei, rituelle Begrüßungsformeln für die Begegnung mit den Dorfbewohnern. Kasumai? Wie geht’s? Kasumai kep! Es geht gut! – Katibo? Wo ist ihre Familie? – Kokobo! Sie ist zu Hause! – Alles klar?

Tumani Tenda ist eine Dorfgemeinschaft von 350 Jola, die in sieben überwiegend muslimischen Großfamilien leben. Sulayman führt durch sein Dorf, ohne es vorzuführen. Links die Gemeinschaftsküche der Großfamilie Jarju, dort die kleine Moschee, gleich daneben das Lager für Setzlinge, da rechts beim Bolzplatz die neue Grundschule. Kleine Jungs treiben Schafe und Ziegen vor sich her, aus einem tiefen Brunnen schöpfen Mädchen eimerweise Wasser. Die älteren Männer dösen unter dem Ficus am Bantaba, dem Versammlungsplatz des Dorfes. Als sich vor 37 Jahren der Gründervater mit seiner Familie aus der Casamance im Süden Senegals hier niederließ, gab es nichts als Dschungel. Heute betreibt Tumani Tenda auf dem gut 300 Hektar großen Gemeindegebiet eine prosperierende Land- und Forstwirtschaft.

Ein Dutzend Dorfbewohner, als Guides ausgebildet, kümmert sich um das Touristencamp. Togetherness, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bewohner, färbt auch auf die Gäste ab, die für ein paar Tage ins Dorfleben reinriechen. Rucksacktraveller, Kulturtouristen, Musikstudenten und Vogelliebhaber haben den Weg nach Tumani Tenda gefunden. Eingefleischte Strandtouristen verirren sich nicht hierher.

In der Morgendämmerung paddeln wir mit einem Guide im Einbaum über den Fluss, um Scharlachwürger, Zimtroller, Braunhalspapageien und die restliche Vogelschar zu beobachten. Später sehen wir den Frauen zu, wie sie mit der Machete hunderte Austern von den Mangrovenwurzeln abschlagen. Nachmittags streifen wir durch den üppigen Gemüse- und Kräutergarten, der 1992 als erstes Dorfprojekt mit Hilfe des Europäischen Entwicklungsfonds entstand. Viele bunte Parzellen mit Mais und Maniok, Bananen und Auberginen, Kohl und Zwiebeln. Wer möchte, kann beim Seifesieden mitmachen.

Am nächsten Tag führt ein Naturheilkundler durch den artenreichen Wald. Momodou Sanyang trägt trotz der schweißtreibenden Gluthitze eine Pudelmütze. „Das Wissen ist versteckt“, sagt er und erklärt die Wirkung der Heilpflanzen. Unaufhörlich kaut er Süßholz – das ist gut für den Magen. Bei einem Mahagonibaum bleibt er stehen. Man müsse ein Stück Rinde abschneiden, es in Wasser einweichen, einen Schluck trinken. Das stoppe den Durchfall. Jede Station eine neue Lektion: Das Kamelfußblatt helfe bei Blasenkrankheit, erklärt Momodou, das „afrikanische Viagra“-Gras mache schlaffe Männer wieder munter und die Cassia Siberiana wirke ausgezeichnet gegen Muskelkater und Müdigkeit: Einfach die Wurzel ausgraben, klein stampfen, Honig und Wasser dazugeben, drei Tage stehen lassen, dann trinken. Soll sehr bitter schmecken.

Das Ökocamp ist nicht unbedingt das Profitcenter des Dorfs, aber die Einnahmen aus dem Tourismus sind eine zusätzliche Einkommensquelle, die zur Dorfentwicklung beiträgt. Für dieses Jahr plant man, mit den erwirtschafteten Geldern eine Krankenstation und ein Kühlhaus für Mangos zu bauen. Wie Dorf und Camp sich wechselseitig befruchten, erklärt uns Sulayman Sonko in der neuen Backstube. Weil Gäste öfter nach Brot verlangt hatten, kam man auf die Idee einer Bäckerei am Bantaba. Jetzt haben die Besucher frisches Weißbrot, die Bewohner auch, der Rest geht in Kommission an die umliegenden Dörfer. Mit Tourismus verdient man sich nur ein Zubrot. So wahrt das Dorf seine Unabhängigkeit.

Ja sicher, erklärt Projektmanager Sonko, man wünsche sich schon mehr Besucher, aber mehr als zehn zur gleichen Zeit könne das Dorf kaum verkraften. „Denn wir sind vor allem Farmer und haben immer genug zu tun.“

In Tumani Tenda ist alles in Kollektivbesitz, die Arbeit auf den Feldern und im Wald wird gemeinschaftlich verrichtet, ein Teil des Verdienstes geht in die Gemeinschaftskasse für die Elektrizitätsleitung und den Transportwagen, für Arztbesuche und Schuluniformen.

Was ist Tumani Tenda, ein afrikanischer Kibbuz oder ein kommunistisches Kollektiv? Egal, von seiner Strategie – auch beim Marketing – können sich andere eine Scheibe abschneiden. Vor zwei Jahren wurde das Vorzeigeprojekt in Deutschland mit dem „To Do!-Preis für sozialverträglichen Tourismus des Studienkreises für Tourismus und Entwicklung ausgezeichnet. Die Regierung von Gambia schickt Abgesandte anderer Dörfer vorbei, um das erfolgreiche Modell zu studieren und zu kopieren. Selbst Sehouna, unser gambischer Reiseleiter, ist beeindruckt: „Tumani Tenda wird sich verkaufen“, sagt er zum Dorfmanager Sonko. „Was ihr hier anbietet, ist Afrika pur!“

Im Gästebuch stehen flehentliche Aufrufe: „Ändert bitte nichts! Gambia braucht mehr davon!“ Und es braucht vor allem Entwicklung.

Tumani Tenda Eco Tourism Camp, c/o P.O. Box 4587 Bakau, The Gambia. E-Mail: tumanitenda@hotmail.com,Internet: www.asset-gambia.com. Die Vollpension kostet 8 € am Tag